Wo ist nur das ganze Personal hin?

von Redaktion

VON MATTHIAS SCHNEIDER

München – „Wir haben jetzt auch Dienstag Ruhetag“, „Wegen Personalmangel kann es zu Fahrtausfällen kommen“. Sätze wie diese liest man immer häufiger. Besonders drastisch sei die Personalnot in Branchen mit viel Kundenkontakt, sagt Sebastian Link, Arbeitsmarktforscher beim Münchner ifo-Institut. Dort wirkte die Corona-Pandemie wie ein Brandbeschleuniger: „Die Gastronomie, aber auch Hotellerie, Messebau und Handel waren extrem von den Auswirkungen betroffen – und haben ihre Belegschaft überproportional häufig in Kurzarbeit geschickt.“ Das habe Entlassungen weitgehend verhindert.

Aber: Die Pandemie verhinderte auch Neueinstellungen. Laut der Bundesagentur für Arbeit sank die Zahl der Neuverträge im Lebensmittel- und Gastgewerbe um 29 Prozent. Die Agentur verglich das Vor-Corona-Jahr 2019 mit 2020. Ergebnis: Verlor die Branche 2019 im Saldo aus Kündigungen und Neueinstellungen 66 000 Menschen, waren es 2020 schon 138 000.

Dass die meisten der Branche dauerhaft den Rücken kehren, liegt für ifo-Forscher Link auch an den Arbeitsbedingungen: „Gerade beim Gastgewerbe geht es um die Jobs, die in Sachen Arbeitszeit, Bezahlung und Planungssicherheit nicht die attraktivsten sind. Wenn man sich daran gewöhnt hat, dass das Arbeiten in anderen Branchen angenehmer ist, will man vielleicht nicht zurück.“

Noch angespannter sei die Lage am Ausbildungsmarkt: „Junge Erwachsene stellen sich heute offenbar etwas anderes vor, als Koch in der Hotellerie zu werden.“ Der Trend gehe in Richtung akademischer Laufbahnen. „Und wenn ich ein paar Jahre nicht so viele junge Leute ausbilden kann, kommt halt wenig nach.“ Im Gastgewerbe sei die Lage wegen der oft schlechten Bezahlung und teils eingeschränkten Aufstiegsmöglichkeiten besonders kritisch, aber die meisten Ausbildungsberufe müssten um Nachwuchs kämpfen.

Wo all das Personal aus der Gastronomie hin ist? Luise Klemens, Landesbezirksleiterin bei Verdi, hat eine einfache Erklärung: „Die sind halt da hin, wo es mehr Geld gibt, oder die Arbeitsbedingungen besser sind. Viele Minijobber haben sich Festanstellungen gesucht.“ Eine Festanstellung zu finden, ist so einfach wie lange nicht. Denn der Fachkräftemangel betrifft nahezu alle Branchen. Laut der Bundesagentur für Arbeit waren im Mai in der Verkehrs- und Logistikbranche 61 000 freie Stellen gemeldet, in Verkaufsberufen 54 000 und bei Mechatronik-, Energie- und Elektroberufen 52 000. Auch die medizinische Gesundheitsbranche sucht mit 51 000 freien Stellen händeringend. Maschinentechnik, Metallbranche, Fahrzeugführer, Erzieher, Pfleger – überall ein ähnliches Bild. Das Tourismus-, Hotel- und Gastgewerbe steht mit 29 000 freien Stellen sogar nur auf Platz zehn der Liste.

Der demografische Wandel macht die Situation nicht besser. „Wir werden im kommenden Jahr eine Spitzenzahl an Personen sehen, die dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen“, erläutert Link. „Danach nimmt ihre Zahl ab.“ Paradoxerweise hat sich laut Link die Lage durch die Corona-Hilfen des Bundes verschärft: „Durch die Hilfen gab es fast keine Firmenpleiten. Das war zwar gesellschaftlich so gewünscht, hat aber auch eine Marktbereinigung verhindert, die Arbeitskräfte freigesetzt hätte.“

In manchen Branchen, sagt Link, schrecken auch die Tarifstrukturen Bewerber ab. Beispiel Kinderbetreuung. „Die Leute werden meist nach einem Flächentarifvertrag bezahlt. Es macht für meine Kaufkraft aber einen gewaltigen Unterschied, ob ich im Großraum München oder auf dem flachen Land lebe.“ Sehe man sich die Bezahlung an, „wundert es mich nicht, dass man niemanden findet“. Das Problem: „Die Gebühren für Kitas sind meist gedeckelt und damit auch das Budget der Einrichtungen.“ Das gelte auch für viele Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen.

Ob man sich an kürzere Öffnungszeiten gewöhnen muss? „Das wird sich nicht vermeiden lassen“, sagt Link. „Es wird aber auch viele Fälle geben, wo ein Restaurant dem anderen die Mitarbeiter abwirbt und das weniger erfolgreiche schließen muss.“

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