Der ewige Kampf des Cavaliere

von Redaktion

VON JULIUS MÜLLER-MEININGEN

Rom – „Das Ende einer Ära“, titelte die Online-Ausgabe der linken Tageszeitung „La Repubblica“. „Ein Stück italienischer Geschichte verabschiedet sich“, hieß es. Und so ist es. Berlusconi war viermal italienischer Ministerpräsident, er gründete die Partei Forza Italia. Oft gehörte bei ihm das Visionäre zusammen mit gehöriger Chuzpe, die Berlusconi immer charakterisierten. 1977 wurde ihm wegen seiner Bau-Geschäfte der Ehrentitel „Cavaliere del lavoro“ verliehen, seither wurde er „Cavaliere“ genannt.

Als er – eigentlich Anhänger des vornehmeren Stadtclubs Inter Mailand – 1986 den damaligen Arbeiterverein AC Mailand übernahm, gelang ihm auch hier das Maximum: Dreimal gewann der Verein den wichtigsten Clubwettbewerb Europas. Berlusconi nutzte den scheinbar banalen Massensport für seine Zwecke. Die Büros der Milan-Fanclubs fungierten ab 1994 als Regionalbüros seiner neu gegründeten Partei Forza Italia. Und so vermischte sich alles unter ihm in Italien: Die Politik mit den Medien, die Medien mit dem Fußball, kriminelle Energie mit Vision.

Heere von Staatsanwälten versuchten, dem Selfmade-Mann den juristischen Strick zu drehen, meist vergeblich. Er wurde wegen Steuerhinterziehung angeklagt, wegen Bilanzfälschung, illegaler Parteienfinanzierung, Richter- und Zeugenbestechung, Meineid. Immer kam er davon, dank der Verschleppungstaktik seiner Anwälte, viele Taten verjährten, oder eine der von ihm geführten Regierungen änderte schnell die Fristen. Es gab Freisprüche, Amnestien. 2013 blieben ihm als Maximum mal zehn Monate Sozialarbeit in einem Altenheim bei Mailand.

Anhänger loben ihn als „Helden für den Widerstand gegen die Justiz“. Aus den unzähligen Verfahren ließ sich leicht das Narrativ stricken, hier werde versucht, eine öffentliche Figur mit juristischen Mitteln zu demontieren. Halb Italien glaubte das lange. Zum Verführer gehören ja immer auch die, die sich verführen lassen.

Berlusconi war ein Narzisst, das kann man ohne Bosheit festhalten. Seine Anhängerschaft verehrte ihn wie einen Superstar und belächelte ihn für seine Orgien und Eskapaden. Er, der sich selbst einmal mit nur einem halben Augenzwinkern als „Gesalbter des Herrn“ bezeichnet hatte, mutierte zum ersten westlichen Populisten. Als zu Beginn der 90er das in Christdemokraten und Sozialisten zweigeteilte italienische Parteiensystem nach Korruptionsskandalen zusammenbrach, stieß der Medienunternehmer genial ins Vakuum.

Talent als Unterhalter hatte er. Als Student trat er als Conferencier und Pianist auf Kreuzfahrtschiffen auf, damals schon mit seinem Freund Fedele Confalonieri, dem heutigen Vorsitzenden von Berlusconis Medien-Holding „Mediaset“. Blendet man das Skandalöse an seiner Figur aus, wirkte Berlusconis Witz teilweise sympathisch. Er betörte Hausfrauen wie Manager. Wenn sie nur unkritisch genug waren.

Bereits in den 70er-Jahren hatte Berlusconi früher als viele andere die Macht der Medien erkannt. Das staatliche Verbot, landesweite Fernsehkanäle als Konkurrenz zum Staatsfernsehen RAI zu etablieren, unterlief er geschickt mit dem Aufbau zahlreicher kleiner, formal unabhängiger Sender. Nie geklärt wurde, wie er an das Geld für diese Operationen kam. Auf diesen Umwegen entstand das Privatfernsehen. Berlusconi beamte sich per TV im Handumdrehen in die Wohnzimmer der Italiener.

Seine erste Regierung hielt zwar gerade einmal sieben Monate. Bei aller Kritik an seinem Stil, an unzähligen Interessenkonflikten und auf den Leib geschneiderten Gesetzen: Kein Politiker garantierte Italien mehr äußere Stabilität. In seiner zweiten und dritten Amtszeit von 2001 bis 2006 blieb der Mailänder Ministerpräsident. Auch die vierte Regierung hielt von 2008 bis 2011 für italienische Verhältnisse vergleichsweise lange.

2011 trat Berlusconi als Ministerpräsident zurück. Seine Eskapaden, die immer stärker auf das Staatsdefizit drückende Finanz- und Schuldenkrise und der Druck der Mächtigen in Europa hatten Wirkung gezeigt. In den vergangenen Jahren wurde Berlusconi oft als Witzfigur wahrgenommen. Im „Bunga-Bunga“-Skandal um teilweise minderjährige Prostituierte verspielte er international seine Glaubwürdigkeit. Die Freundschaft zum russischen Präsidenten Putin kostete ihn die allerletzten Sympathien.

An diesem Mittwoch soll im Mailänder Dom die Begräbnisfeier stattfinden.

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