Die Krise in der Bayern-Koalition

von Redaktion

VON MIKE SCHIER UND CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER

München – Als er sich 2018 mit Markus Söder einließ, hatte Hubert Aiwanger eine dunkle Ahnung. Man müsse aufpassen, von einem „Sumo-Ringer, der vier Mal so schwer ist wie man selber“, nicht „erdrückt“ zu werden, sagte der Freie-Wähler-Chef über die deutlich größere CSU. So richtig gerungen haben die beiden Parteichefs in den folgenden Jahren nur selten, sich eher umtänzelt. Wird es nun, vier Monate vor der Wahl, handgreiflich?

Seit dem gemeinsamen Demo-Auftritt in Erding gegen das Heizungs-Gesetz ist das Verhältnis in der Koalition sehr schwer belastet. Söder, teils ausgepfiffen, grenzte sich klar von der AfD ab. Aiwanger, laut bejubelt, griff zu härtester Rhetorik („Demokratie zurückholen“, „Arsch offen“). Mehrere scharfe Aiwanger-Rügen aus der CSU, zuletzt von Staatskanzleichef Florian Herrmann, legen den Schluss nahe: Söder ist stocksauer. Gestern war der Streit noch mal großes Thema am Kabinettstisch. Nicht laut, aber scharf, sagen Ohrenzeugen. Auch in einem Vorgespräch in kleinerer Runde soll Söder gezürnt haben.

Der Ministerpräsident und sein Vize haben ein ungewöhnliches Verhältnis. Sie brauchen und belauern sich. Die bundesweit einzigartige Koalition zweier bürgerlich-konservativer Parteien hat ideologisch keine und inhaltlich nur wenige Reibungspunkte. Lärmarm regieren ist möglich. Söder fand das lange gut, unter anderem als Gegenmodell zur streitenden Ampel. Er sagte Aiwanger öffentlich zu, nach der Wahl weiter „bürgerlich-bayerisch“ koalieren zu wollen, und gelobte, nicht um eine absolute Mehrheit zu kämpfen („bitte nicht abheben“).

Je näher es auf diese Wahl zugeht, desto wackeliger ist das Gelübde. Denn CSU wie Freie werben um ähnliche Wähler – bürgerlich, konservativ, vielleicht liberal, eher ländlich. Aiwanger kämpft gezielt um Wirte, Landwirte, Handwerker, Jäger. Söder beäugt die Termine zunehmend besorgt – mehrfach fuhr er persönlich hinterher. Als Aiwanger neulich in Oberaudorf Almbauern besuchte, die sich wegen der Wölfe sorgen, kam der Ministerpräsident einfach auch. Lieber tritt er mit seinem Vize auf, statt ihm eine Bühne zu überlassen. Nicht unähnlich war es am Samstag bei der Demo – Aiwanger sagte zu, Söder zögerte erst, kam dann auch.

Jetzt steht die Veranstaltung plötzlich zwischen den beiden Politikern, die als Typen durchaus Parallelen haben. Beide sind diszipliniert und körperlich zäh: wenig Schlaf, null Alkohol (anders als die vielen Bierzeltfotos suggerieren), kaum Hobbys jenseits der Politik. Beide erfassen Situationen schnell, haben aber auch hohe politische Brutalität. Aiwanger kommt zugute, dass er unterschätzt wird. Unserer Zeitung berichtete er unlängst, wie strategisch er auf Twitter provoziert. Dass er beim großstädtischen Publikum manchmal als „beschränkter Bauer“ wahrgenommen wird, kalkuliert er ein. Am Land kommt seine Art an. Und nur darum geht es ihm.

Bei Söder verhält sich die Lage anders: Auch wenn er es mit Verve abstreitet, hat er durchaus noch einen neuen Anlauf aufs Kanzleramt im Blick. Ein Koalitionspartner, der allzu sehr am rechten Rand fischt, könnte da zum Problem werden. Doch Alternativen sind schwierig: Trotz allen Ampel-Frusts ist Söder bisher nicht über 40 Prozent hinausgekommen, braucht also wohl auch ab Oktober noch einen Partner. Die Freien Wähler sind da der einfachste. Die FDP droht aus dem Landtag zu fliegen, die Bayern-SPD wird in der Union als regierungsunfähig eingeschätzt, zu den Grünen gibt es massive ideologische Differenzen. Mit Spitzenkandidat Ludwig Hartmann könnte Söder – von Katharina Schulze trennen ihn Welten.

Also wird er vermutlich bei seiner Zusage an Aiwanger bleiben – wenn der nicht weiter eskaliert. Es ist ja nicht das erste Mal, dass es rummst. In der Corona-Krise zweifelte Aiwanger von Anfang an am harten Söder-Kurs. Später ließ er sich erst auf massiven Druck aus den eigenen Reihen impfen. Auch deshalb wurde er in Erding von einem Teil des Publikums bejubelt, wo Aiwanger von „Corona-Irrsinn“ sprach. Dass er diesen „Irrsinn“ mit beschlossen hat, vergisst er gerne.

Intern diskutiert die CSU schon länger, wie man mit Aiwanger umgeht. Finanzminister Albert Füracker gilt als massiver Kritiker, Partei-Vize Manfred Weber – wie Aiwanger Niederbayer – hätte gerne einen konfrontativeren Kurs. Bislang setzte sich Söder durch, der vor der Wahl keinen Streit wollte, weil das eher Aiwanger nutze. Wie jetzt, wo der Vize-MP plötzlich wieder bundesweit Schlagzeilen macht, sogar die „Neue Zürcher Zeitung“ Interviews anfragt. „Mei, der Hubsi“, hieß es dann nur. Immer auf Krawall, aber als Partner doch sehr handsam.

Gut möglich, dass sich diese Strategie jetzt ändert – und der Sumo-Ringer sich seiner Stärken besinnt.

Sie brauchen und sie belauern sich

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