München – Ob dies der Tag ist, an dem Hubert Aiwanger sich die Demokratie zurückholen will? Vielleicht ist es eher umgekehrt: Die Demokratie holt sich Hubert Aiwanger zurück. Zumindest der Form nach: Mittwoch, 13 Uhr, Bayerns Wirtschaftsminister und Vize-Regierungschef spricht im Landtag. Regierungserklärung zur Wirtschaft, wie immer redet er frei. Sonst ist eigentlich nichts wie immer.
Natürlich schwebt über allem das, was der Niederbayer am Samstag zornig in ein Erdinger Mikro prustete. Dass sich die schweigende Mehrheit die Demokratie zurückholen müsse. Dass man die Ampel-Chaoten vor sich hertreiben solle. Dass die da oben den A… offen hätten. Seither tobt die Debatte. Manche freuen sich über den Klartext, viele werfen ihm niederen Populismus vor, und Markus Söder ist, so hört man, stinksauer.
Vielleicht ist es also ganz gut, dass der Ministerpräsident am Mittwoch nicht im Landtag ist. Denn Aiwanger gießt in seiner Rede zwar kein neues Öl ins Feuer, aber von Einsicht oder einem kleinen Geraderücken ist da nicht die geringste Spur. Auch eine Regierungserklärung ist das nur bedingt. Stattdessen schimpft er lang und breit über die Ampel in Berlin, die gerade sehenden Auges den Wohlstand in Deutschland gefährde. Vor allem SPD und Grüne halten lautstark dagegen.
Es geht hitzig zu, nicht einmal, sondern immer wieder. Vor allem die Grünen hält es kaum auf ihren Sitzen. Tags zuvor hatten sie Söder schon aufgefordert, den Minister zu entlassen, hatten spontan einen Dringlichkeitsantrag formuliert, über den am Mittwochabend abgestimmt wurde. Ohne Aussicht auf Erfolg natürlich.
Aber lebhaft wird es auch zu vorgerückter Stunde. Der Grünen-Abgeordnete Thomas Gehring wirft Aiwanger vor, „nicht zum ersten Mal eine rote Linie überschritten“ zu haben, und folgert: „Er wird es wieder tun.“ Unanständig, undemokratisch, intellektuell erbärmlich – zeitweise hagelt es fast im Sekundentakt Vorwürfe und Beleidigungen. Abgeschmettert wird der Antrag am Ende trotzdem, überraschend kommt das wahrlich nicht. Aber man wollte Aiwanger zumindest klar zeigen, dass er die Grenze des Erträglichen überschritten hat.
Wie aufgewühlt die Grünen sind, zeigt niemand deutlicher als Fraktionschefin Katharina Schulze am Nachmittag im Plenum. Hier drinnen sei Aiwanger Teil der parlamentarischen Demokratie, sagt sie. „Aber draußen wiegelt er die Menschen gegen unsere Demokratie auf.“ Sie wirft ihm Fäkalsprache vor, rügt, dass er keine Einsicht zeige. Sein Verhalten sei unwürdig. Er entspreche damit der Lehrbuchbeschreibung eines Rechtspopulisten und geistigen Brandstifters. Manches, was Schulze sagt, geht in den Gegenrufen der Regierungsfraktionen fast unter. Aber auch die Grüne ist derart in Rage, dass Landtagspräsidentin Ilse Aigner sie mahnt, auf die Wortwahl zu achten – der „geistige Brandstifter“ könnte sogar noch Konsequenzen haben.
Trotzdem fordert Schulze Söder erneut auf, den Minister zu entlassen. Auch SPD-Fraktionschef Florian von Brunn sieht das so, schließlich sei es nicht Aiwangers erster Fehltritt gewesen. „Wenn Sie noch einen Funken Anstand haben, sollten Sie von sich aus von Ihrem Amt zurücktreten.“
Aiwanger selbst rührt das alles kaum. Er sitzt ruhig auf der Regierungsbank, witzelt ab und an. So richtig groß ist der Druck auf ihn auch nicht. Zwar kamen seine Tiraden auch in Teilen der CSU nicht gut an, es gab sogar scharfe Rügen aus der vorderen Reihe. Auch am Mittwoch klatschen die wenigen anwesenden CSU-Ministerkollegen Aiwanger nur sehr verhalten zu. Aber die Regierungsfraktionen stehen hinter ihm.
Daran kann auch der Zuspruch aus der AfD nichts ändern. Als sich der Abgeordnete Gerd Mannes zu Wort meldet und fragt, warum Aiwanger eigentlich entlassen werden soll, nur weil er in Erding einmal eine vernünftige Rede gehalten habe, da glimmt Katharina Schulzes Wut noch mal auf. „Da sehen Sie’s“, sagt sie. „Wenn man die Geister ruft, dann sind sie da.“
MARCUS MÄCKLER