Nordstream: Immer mehr Spuren führen in die Ukraine

von Redaktion

Westliche Geheimdienste waren früh über Pläne Kiews informiert – aus Moskau kommt eine unverhohlene Drohung

München – Olaf Scholz beherrscht die Kunst, mit griffigen Worten wenig zu sagen. Wenn der Bundeskanzler betont, das „Aufklärungsinteresse“ im Hinblick auf die Nord-Stream-Anschläge sei „sehr groß“, heißt das noch lange nicht, dass er das Interesse der Öffentlichkeit bedient. Auch wenn Medienberichte zum wiederholten Male die Hinterleute der Explosionen in der Ukraine vermuten, kommt aus dem Kanzleramt nichts Erhellendes. „Geheimdienstliche Erkenntnisse sind ja geheim, und wenn es gut läuft, bleiben sie es auch“, heißt es bei Scholz.

Am Mittwochabend hatten ARD und „Zeit“ berichtet, der US-Geheimdienst CIA habe die Ukraine bereits im Juni 2022, drei Monate vor dem Angriff, vor einer solchen Aktion gewarnt. Als die Pipelines dann tatsächlich beschädigt wurden, fiel ein Verdacht zwar auch auf Kiew. Stärker im Fokus aber stand die russische Regierung, der eine False-Flag-Aktion, eine inszenierte Sabotage, unterstellt wurde. Dazu schien auch zu passen, dass sich Schiffe der russischen Kriegsmarine in den fraglichen Tagen in der Nähe des Tatorts aufgehalten haben sollen.

Nun führt die Spur offenbar immer deutlicher nach Kiew. Vergangene Woche verwies die „Washington Post“ auf Erkenntnisse westlicher Geheimdienste. Dabei scheint es sich vor allem um niederländische Quellen zu handeln, die frühzeitig Verbündete einweihten – darunter auch den Bundesnachrichtendienst.

Demnach wäre die Bundesregierung, einer der wichtigsten Unterstützer der Ukraine, immer darüber im Bilde gewesen, dass ukrainische Akteure einen Anschlag auf jene Pipelines planten, die in friedlicheren Zeiten eine zentrale Rolle in der deutschen Energieversorgung spielten. Auch wenn Präsident Wolodymyr Selenskyj beteuert, seine Regierung habe mit der Sabotage nichts zu tun („Ich würde nie so handeln“), ist die Konstellation im Wortsinne hochexplosiv. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) kündigte gestern an, der Generalbundesanwalt werde sich zu gegebener Zeit öffentlich äußern. Es gebe „keine Mauer des Schweigens“.

Die Reaktion aus Moskau klingt triumphierend-aggressiv. Ex-Präsident Dmitri Medwedew, Vizechef des Nationalen Sicherheitsrates, bringt Attacken auf die Unterseekabel zwischen Europa und den USA als Vergeltung ins Gespräch. Wenn man von „der erwiesenen Komplizenschaft westlicher Länder“ ausgehe, habe Moskau „keine – auch moralischen – Zwänge mehr, die uns daran hindern könnten, die Kabelverbindung unserer Feinde zu zerstören“. Die Nato nimmt die Drohung ernst. Das Bündnis will eine neue Einheit für den besseren Schutz von Pipelines und anderer kritischer Infrastruktur in den Meeren aufbauen.  mb

Artikel 4 von 11