Putins große Inszenierung

von Redaktion

VON LEONIE HUDELMAIER

München – Dicht an dicht und nicht wie gewohnt mit großem Sicherheitsabstand sitzt der russische Präsident Wladimir Putin mit seinen Gästen an einer langen Tafel. Vor jedem Besucher stehen Teetassen und kleine Teller mit süßen Stückchen. Was auf den ersten Blick wie ein Kaffeekränzchen im Kreml aussieht, ist ein ungewöhnliches Treffen von Putin mit Journalisten und Militärbloggern.

Dafür nimmt sich der Kreml-Chef Zeit: Zwei Stunden lang spricht er am Dienstag über den aktuellen Stand im Krieg gegen die Ukraine. „Das Treffen mit den Militärbloggern ermöglicht Putin, sich noch einmal aus einer anderen Quelle über den Krieg zu informieren“, erklärt Russland-Experte Janis Kluge von der Stiftung Wissenschaft und Politik unserer Zeitung. Denn die teils grimmig dreinblickenden Militärblogger seien „nicht wirklich Journalisten, teilweise nehmen sie selbst an Kampfhandlungen teil, und natürlich verbreiten sie Propaganda“, sagt Kluge. Laut dem Nachrichtensender ntv gelten alle Teilnehmer aber als kremlfreundlich. Also ein Treffen ganz zum Zwecke der Propaganda.

Nicht verwunderlich also, dass Putin die ukrainische Gegenoffensive kleinredet. „Nicht an einem Frontabschnitt hat der Gegner Erfolg gehabt.“ Zudem habe es zehnmal höhere Verluste auf der ukrainischen Seite als auf russischer Seite gegeben. „Meiner Berechnung nach hat die Ukraine 25 bis 30 Prozent der vom Ausland gelieferten Technik verloren“, sagt Putin. Ungewohnt präzise legt der Kreml-Chef weitere Zahlen vor: Die Ukraine habe bereits über 160 Panzer und mehr als 360 gepanzerte Fahrzeuge verloren – Russland dagegen nur 54 Panzer, die teilweise wieder repariert werden können.

Es sind Zahlen, die sich nur schwer nachprüfen lassen. Was Moskau offensichtlich für seine Erfolgs-Erzählung der „speziellen Militäroperation“ in der Ukraine nutzt. Tatsächlich existieren auch Bilder von zerstörten westlichen Panzern, darunter auch deutsche Leopard-2-Panzer (wir berichteten), allerdings gibt es Zweifel an der großen Anzahl. „Russland übertreibt die Zahlen sehr stark. Die offiziellen russischen Informationen sind hier nicht glaubwürdig“, sagt Russland-Experte Kluge.

Inwieweit Putin wirklich in das aktuelle Kriegsgeschehen involviert ist, bleibt unklar. Berichte des russischen Verteidigungsministeriums seien teilweise „massiv geschönt“, sagt Kluge. Auch kremlkritische, aber gleichzeitig ultranationalistische Militärblogger wie der frühere Geheimdienstoffizier Igor Girkin, werfen Putin vor, falsch informiert zu sein.

Putin bemüht sich derweil um gute Stimmung im Land. So soll das Kriegsrecht – das etwa Jewgeni Prigoschin, der Chef der Privatarmee Wagner, fordert – nicht verhängt werden. „Im ganzen Land irgendein besonderes Regime wie das Kriegsrecht auszurufen, macht überhaupt keinen Sinn“, sagt Putin. Auch eine neue Mobilmachung wird es dem Kreml-Chef zufolge nicht geben. Er begründet dies mit der angeblich hohen Zahl an freiwilligen Armee-Bewerbern.

Währenddessen zeichnen die Ukraine und der Westen ein anderes Bild des Kriegverlaufes. Laut dem ukrainischen Verteidigungsministerium laufen trotz schwerer Gefechte die Rückeroberungen im Süden und Osten des Landes. Im Dorf Makariwka, südwestlich von Donezk, rückte die Armee demnach um weitere 200 bis 500 Meter vor. Auch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagt, man sehe, dass die Ukrainer Fortschritte machen und mehr Land befreien.

So sehr sich Putin bemüht, die ukrainische Gegenoffensive herunterzuspielen – es bleiben Verluste auf russischer Seite. Allein die 54 zerstörten Panzer, die er selbst einräumt, sind Beweis genug.

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