München – Der Urkonservative bei den Kommunisten, es war eine Sensation. 1975 setzte sich Franz Josef Strauß gegen jeden Rat in den Flieger nach China, blieb zehn Tage dort und wurde schließlich sogar von Mao empfangen. Wie er es wagen könne, tobten CDU-Leute in Bonn, „Realitätsverlust“ sei das. Strauß sagte nach dem Treffen in Peking freudig, das sei ein „imponierender Augenblick“ gewesen. Und die „SZ“ titelte (das würde man heute so nicht mehr wagen): „Schlitzohr trifft Schlitzauge“.
Es ist eine der wundersamen Episoden aus dem ungewöhnlichen Verhältnis von CSU und Chinas Führung. Vermutlich wird sie morgen wieder ausgegraben, wenn sich die Spitze der Regierung aus Peking zum Galadinner in München einfindet. In der Residenz lädt Strauß-Urahn Markus Söder die Delegation um Ministerpräsident Li Qiang zum Abendessen ein.
Das ist nun nicht so sensationell wie der Strauß-Besuch – dennoch ungewöhnlich. München ist von Li als Zwischenstopp bei den Staatsbesuchen in Berlin und Paris gewählt worden. Dem Vernehmen nach hätte auch NRW die Pekinger Delegation gern empfangen. Hier setzten sich aber die engeren Wirtschaftskontakte zu bayerischen Konzernen und das schon außergewöhnliche Verhältnis von CSU und China durch. Es wird seit Strauß’ Eisbrecher-Exkursion vor einem halben Jahrhundert intensiv gepflegt.
Eine Reise nach Peking tritt jeder Ministerpräsident an. Oft ist es mit klingenden Geschichten verbunden. Aidemengde Shituoyibeier, also Edmund Stoiber in der chinesischen Umschrift, wurde 2003 als erster westlicher Politiker vom damals neuen Ministerpräsidenten Wen Jiabao empfangen. Horst Seehofer war ebenfalls mehrfach in China. 2014 machte er national Schlagzeilen, weil eine mitreisende Grüne mit einem heimlichen Treffen mit Menschenrechtsaktivisten das Protokoll sprengte; zudem wurde genau notiert, dass ihn bei einem Besuch der Chinesischen Mauer die Kraft verließ.
Söder war 2015 als Finanzminister in China. Er brachte – hier schließt sich der Kreis – als Gastgeschenk ein riesiges Strauß-Mao-Poster mit, vor dem er sich dann fotografieren ließ. Als Regierungschef reiste er bisher indes nie nach Peking. Einladungen habe es gegeben, auch in aktuelle oder künftige Partnerprovinzen, heißt es in München.
Der Grund für die Zurückhaltung ist nicht Terminnot, sondern die Ahnung, dass sich das Verhältnis bei aller bisherigen Nähe trübt. Wirtschaftlich wird China in Deutschland immer mehr als Rivale denn als Partner gesehen. Politisch rücken Fragen nach Menschenrechten in den Vordergrund, dazu die Angst, China werde in naher Zukunft Taiwan überfallen, und der Ärger über Chinas russlandfreundliche Linie.
Söder versucht, sich da durchzulavieren. Kontakt halten, aber nicht zu eng. Distanz wahren, aber nicht zu sehr. Eine offene Konfrontation scheut er, auch als Parteichef. Das zeigte sich, als im Februar CSU-Vize Manfred Weber mit Außenpolitik-Experten ein neues, sehr kritisches Grundsatzpapier zu China vorlegte. „Wir sehen mit Sorge, dass China sich zu einer problematischen Region mit einem Mix aus inneren Zerwürfnissen und außenpolitischer Aggressivität entwickelt“, schrieben Weber und seine Leute. Söder kassierte den kantigen Entwurf erstmal ein, offenbar auch unter Verweis auf Arbeitsplätze und Wirtschaftskontakte.
Es ist wahrscheinlich, dass solche Feinheiten von Chinas Diplomaten aufgenommen werden. In München unterhält die Volksrepublik übrigens seit 2019 das größte Generalkonsulat in ganz Europa. CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER