Berlin – Eine hohe Gewaltneigung unter Extremisten in Deutschland macht dem Verfassungsschutz große Sorgen. Eine deutliche Warnung spricht der Inlandsgeheimdienst in seinem jährlichen Bericht auch zu Spionage- und Einflussnahmeversuchen Chinas aus. Vorgestellt wurde der Verfassungsschutzbericht 2022 in Berlin – zeitgleich mit dem Auftakt der deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen.
Rechtsextremismus: Die Zahl der Menschen, die dem rechtsextremistischen Spektrum zugeordnet werden, stieg im Vergleich zum Vorjahr um rund 14,5 Prozent auf 38 800. Einer der Gründe dafür ist, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) nun auch Angehörige der AfD hinzurechnet: Sie wird inzwischen als Verdachtsfall beobachtet. Das Bundesamt schätzt, dass 10 200 Mitglieder der AfD und ihrer Parteijugend (Junge Alternative) extremistischen Strömungen zuzurechnen sind. Sorgen macht dem Inlandsgeheimdienst, dass sich in Internet-Foren der „Attentäter-Fanszene“ oftmals sehr junge Menschen radikalisieren und gegenseitig zu Gewalttaten aufstacheln.
Neue Kategorie: Der Verfassungsschutz hatte 2021 den neuen Phänomenbereich „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ definiert. Der Entschluss, die Kategorie zu etablieren, war auch eine Folge der Aktionen radikaler Gegner der Anti-Corona-Maßnahmen. Jetzt legt der Verfassungsschutz erste Zahlen vor. Der Dienst sieht ein Potenzial von 1400 Menschen bundesweit. Etwa 280 werden als gewaltorientiert eingestuft. Dabei geht es um Menschen, die nicht klassisch Rechts- oder Linksextremismus zuzuordnen sind und versuchen, „Krisensituationen und Ängste in der Bevölkerung zu instrumentalisieren, um staatliche Stellen und politische Verantwortungsträger zu diskreditieren“. BfV-Präsident Thomas Haldenwang sagte, „dass Grenzen innerhalb von Phänomenbereichen verschwimmen und sich Mischszenen bilden“.
Islamismus: Haldenwang berichtet, die Bedrohung durch islamistischen Terrorismus sei nach wie vor hoch. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) erinnerte an Festnahmen in jüngster Zeit: „Unsere Sicherheitsbehörden haben in diesem Jahr bereits zwei mögliche islamistische Anschläge in Castrop-Rauxel und in Hamburg verhindert.“
Linksextremismus: Das linksextremistische Potenzial wuchs laut Verfassungsschutz im vergangenen Jahr um 5,2 Prozent auf 36 500 Menschen an. Eine große Gefahr geht demnach von kleinen, im Geheimen agierenden Gruppen aus, die mit großer Brutalität insbesondere gegen den politischen Gegner, insbesondere Rechtsextremisten, vorgehen. Linksextremistische Gewalt richte sich aber auch gegen Polizeikräfte, die teilweise in Hinterhalte gelockt würden. Mehr als jeder vierte Linksextremist wird als gewaltorientiert angesehen.
Spionage: Nicht nur als Folge des russischen Angriffskrieges in der Ukraine gab es 2022 mehr Spionagefälle. Der Generalbundesanwalt leitete dazu 28 Ermittlungsverfahren ein, nach 25 im Vorjahr. Sie richteten sich etwa gegen mutmaßliche Zuträger russischer, türkischer und marokkanischer Geheimdienste. Zudem enthält der Bericht eine sehr eindringliche Warnung zu China. Der Verfassungsschutz hält die Volksrepublik derzeit für „die größte Bedrohung in Bezug auf Wirtschafts- und Wissenschaftsspionage sowie ausländische Direktinvestitionen in Deutschland“. ANNE-BEATRICE CLASSMANN