München – Da ist dieses eine Gespräch mit Angela Merkel, das Markus Söder nie vergessen wird. Herbst 2005, ihre erste Koalition drohte schon vor Amtsantritt auseinanderzufliegen, weil wichtige Minister in letzter Minute ihre Zusage zurückzogen. Der junge Söder fasste sich ein Herz, ging auf die Fast-Kanzlerin zu und fragte, was um Himmels willen sie in dieser verheerenden Lage zu tun gedenke. Ihre Antwort war knapp: „Blutdrucksenker besorgen.“
Blutdruck runter, nachdenken, auch im Chaos nie toben: Es ist einer der Merkel-Grundsätze, der sie durch 16 Jahre Kanzlerschaft getragen hat. Söder erzählt die Geschichte in seiner Laudatio am Mittwochmittag in der Münchner Residenz. Er deutet mit einem Hauch Selbstironie an, das mit der Kraft der Ruhe eher mühsam gelernt zu haben, nicht zuletzt von Merkel. Es ist die Feierstunde, in der er der Ex-Kanzlerin den Verdienstorden überreicht, die höchste Auszeichnung des Freistaats.
Ja, allein dieser Anlass treibt manchen Blutdruck in die Höhe. Nicht jedem leuchtet ein, wofür Merkel jetzt einen Orden erhält: Wo ihre Russland-Politik – Gas-Abhängigkeit, der Irrglaube an den Dialog mit Putin – implodiert ist. Wo die Migrationskrise wieder aufflammt und sich ein seit 2015/16 gespaltenes Land zeigt. Wo die CDU gerade debattiert, ob Merkel auch mit ihrem Mitte-Kurs als großes Vorbild taugt, wie NRW-Regent Hendrik Wüst meint, oder eher als Gegenteil, für das der aktuelle CDU-Vorsitzende Friedrich Merz steht.
Ob für Söder der Ordens-Zeitpunkt jetzt glücklich ist? Ließ er sich im Landtags-Vorwahlkampf blenden von der Aussicht auf wunderbare Ordens-Fotos im Antiquarium der Residenz? Immerhin: Mit einer ungewöhnlichen Laudatio, kein kritikloses Standard-Gesülze, greift er Skepsis auf.
Ja, es gebe in der Migrationspolitik „unterschiedliche Vorstellungen, teils bis heute“, sagt er. Spricht aus, dass 2014 nach der Krim-Invasion weise Köpfe einen Bruch, eine Isolation Russlands gefordert hätten. Sie hört diesen zwei Passagen reglos zu. Seinen Orden begründet er dann anders: mit Merkels Einsatz in der Finanzkrise („hätte das ganze Land arm machen können“) und in der Euro-Krise („ganz Europa war am Scheidepunkt – echt auf der Kippe“). Klar lobt er die Grundlinie in der Corona-Politik: „Du und wir müssen uns nicht entschuldigen, dass wir Leben gerettet haben“. Indirekt deutet er an, dass der Dialog unter Kanzler Olaf Scholz kaum noch funktioniere.
Wie er Merkel dann beschreibt, ist unterhaltsam, sogar frech. „Du hast Nerven wie Drahtseile“, schildert er. „Ein Konflikt hat sich selten gelohnt.“ Er hebt ihre Ausdauer in vielen (Nacht-)Sitzungen hervor: „Du hast Dein Gegenüber totgesessen.“
Erfolgreiches Totsitzen als Ehrungsgrund: Das ist spektakulär in der Geschichte des auf 2000 lebende Träger beschränkten Ordens. Die Anwesenden überzeugt es, ein Landtagsvizepräsident wacht aus einem kurzen Ruhepäuschen auf. Wobei auffällt, dass manche nicht da sind. CSU-Fraktionschef Thomas Kreuzer, ein härterer Kritiker des Merkel-Kurses, fehlt. Ebenso Justizminister Georg Eisenreich, der ihr 2016 ins Gesicht sagte, man brauche einen anderen Migrationskurs oder eben eine andere Kanzlerin. Söder für sich kann in Anspruch nehmen, den Friedensschluss mit Merkel vor drei Jahren vollzogen zu haben, mit der legendären Chiemsee-Tour. Übrigens: Mit dem Orden kann Merkel ab sofort die staatliche Seenschifffahrt kostenlos nutzen.
Die 69-Jährige macht in der Residenz den selbstbewussten Eindruck, dass sie die Ehrung für angemessen hält – sich aber ehrlich darüber freut, auch über den festlichen Rahmen mit Lohengrin-Vorspiel. Ihre Rede ist braver, enthält viel Lob für Bayern und nur wenige Zwischentöne. Sie lässt anklingen, dass Bayern einst gegen das Grundgesetz stimmte; später 40 Jahre Geld aus dem Länderfinanzausgleich erhielt. „Das Verhältnis war nie ganz spannungsfrei“, sagt sie über Bund/Bayern und CDU/CSU. Aber, das klingt versöhnlich: „Langweilig war’s selten.“