Bangen um das größte AKW Europas

von Redaktion

VON KLAUS RIMPEL

München – Die Lage am russisch besetzten Atomkraftwerk (AKW) Saporischschja spitzt sich nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms zu. Der Chef des ukrainischen Militärgeheimdienstes, Kyrylo Budanow, erklärte, Russland habe zusätzliche Sprengkörper an der größten Atomanlage Europas angebracht – ausgerechnet am Kühlbecken. „Wenn sie die Kühlung in die Luft jagen, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es zu erheblichen Problemen kommt“, so Budanow gegenüber dem Portal „Kyiv Independent“.

Das seit 4. März 2022 von russischen Truppen besetzte Kernkraftwerk in der Südukraine speist sein Kühlwasser aus dem Kachowka-Stausee, der durch den Dammbruch austrocknet. Für einige Monate sei in den Kühlteichen aber noch genug Wasser, hatte der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) Rafael Grossi vor einer Woche erklärt. Voraussetzung sei aber, dass es keine „unvorhergesehenen Ereignisse“ gebe – also etwa eine Sprengung an der Kühlung des AKW. Alle sechs Reaktorblöcke der Atomanlage sind seit mehreren Monaten abgeschaltet. Für die jetzige Situation ist das laut Experten ein großes Glück, weil damit geringere Mengen Kühlwasser nötig sind.

Das AKW Saporischschja liegt direkt an der Frontlinie zwischen russisch besetztem und ukrainisch kontrolliertem Gebiet. Gestern kam es erneut zu heftigen Kämpfen in der Region. Auf die unter ukrainischer Kontrolle stehende Stadt Saporischschja, die rund 50 Kilometer von der Atomanlage entfernt ist, feuerten russische Stellungen sieben Raketen vom Typ S-300 ab. Wohngebäude seien aber nicht getroffen worden.

Die russische Seite nutzt das Atomkraftwerk auch als militärisches Bollwerk gegen die ukrainische Offensive. Der Chef der russischen Atombehörde, Alexej Lichatschow, warnte vor steigenden Risiken für das AKW. Angesichts der laufenden ukrainischen Offensive in der Region wachse die Gefahr für die Anlage. „Wir begreifen, dass die Anlage jederzeit einem gezielten Angriff ausgesetzt sein kann“, sagte Lichatschow.

Die Ukraine hatte Russland schon im August 2022 vorgeworfen, Sprengstoff im Atomkraftwerk verlegt zu haben. Fakt ist, dass Russland bewusst Soldaten und Material in der Atomanlage stationiert hat, im Bewusstsein, dass Angriffe auf die Anlage schwierig sind. Die britische „Times“ berichtete, dass im vergangenen Oktober der Versuch von 600 ukrainischen Elitesoldaten, das AKW zurückzuerobern, wegen des heftigen Beschusses der Besatzer scheiterte.

Das AKW Saporischschja liegt rund 1900 Kilometer von Berlin und rund 2200 Kilometer Luftlinie von München entfernt. Florian Gering, Leiter der Abteilung Radiologischer Notfallschutz im Bundesamt für Strahlenschutz, hatte kürzlich im ZDF erklärt, dass das Risiko, dass im Fall einer nuklearen Katastrophe radioaktiv verseuchte Luft nach Deutschland gelangt, „relativ gering“ sei. Nur in 17 Prozent der Wetterlagen sei denkbar, dass kontaminierte Wolken nach Deutschland kommen. In der Regel würde der Wind die radioaktiven Teilchen nach Osten und damit Richtung Russland tragen, sagte Gering.

Norwegen hat für die atomare Sicherheit in der Ukraine die Zahlung von 21,5 Millionen Euro angekündigt. „Ein Atomunfall in der Ukraine hätte nicht nur für die Ukraine selbst Konsequenzen, sondern auch über ihre Grenzen hinaus“, erklärte das Außenministerium. Das Geld soll unter anderem die IAEA-Kontrollen in Saporischschja, Tschernobyl und anderen ukrainischen AKW finanzieren, sowie die Sicherheit der Anlagen verstärken.

Derweil hat die Hauptstadt Kiew erneut mit größeren Stromausfällen zu kämpfen. Laut Angaben der Militärverwaltung der Dreimillionenstadt waren am Mittwoch rund 100 000 Haushalte von Abschaltungen betroffen. Als Ursache wurde ein „Systemausfall im Stromnetz“ genannt.  (mit dpa)

Kiew kämpft mit Stromausfällen

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