Sieben Jahre Brexit: Boston bereut wenig

von Redaktion

VON BENEDIKT VON IMHOFF

Boston – Nein, gesteht Anton Dani und bläst die Backen auf, so hat er sich den Brexit nicht vorgestellt. „Die Realität ist vermutlich schlimmer, als wir es damals erwartet haben“, sagt der 57-Jährige und lässt seinen Blick über den Marktplatz von Boston streifen. Es klingt vernichtend. Doch der ehemalige Bürgermeister der ostenglischen Kleinstadt hält den Brexit noch immer für eine gute Idee. Er werde nur von London völlig falsch umgesetzt. So wie Dani fühlen viele Menschen in Boston.

Sieben Jahre ist es am Freitag her, dass Großbritannien für den Brexit votierte. Das Ergebnis fiel knapp aus. Nicht in Boston: Hier stimmten so viele (76 Prozent) wie in keiner anderen Stadt für Ja. Und als das Portal „Unherd“ vor einigen Monaten die Briten mit der Aussage „Es war falsch, dass Großbritannien die EU verlassen hat“ konfrontierte, gab es genau einen Wahlkreis, in dem eine Mehrheit dies verneinte: Boston.

Wegen der vielen Felder gilt die Region als Kornkammer Englands. Im Kirchen-Shop bedienen Wendy und Jeanne Touristen. Sind sie denn noch für den Brexit? Aber natürlich, betonen die beiden älteren Damen. Der Grund: die vielen Fremden, die in den vergangenen Jahren nach Boston gezogen sind. „Alleine traue ich mich abends nicht mehr in die Stadt“, sagt eine.

So wie sie denken viele. „Die Realität gibt ihnen mehr Gründe, gibt ihnen mehr Beweise dafür, dass sie den Brexit wirklich brauchen“, sagt Ex-Bürgermeister Dani. Strengere Einwanderungsregeln hatten die Befürworter des EU-Austritts versprochen – in Boston warten sie noch immer darauf. Viele der Pilger, die 1620 nach Amerika auswanderten, stammten von hier. Einst eine blühende Hafenstadt, gab es in den vergangenen Jahren kaum eine Negativ-Statistik, die Boston nicht angeführt hätte. Es ist die fetteste Stadt des Landes, die mit der schlechtesten Integration und den niedrigsten Löhnen – und die mit den statistisch meisten Morden.

Viele Leute weisen auf den hohen Zuzug von Migranten hin. Zwischen 2011 und 2021 hat sich die Zahl der Zugezogenen verzehnfacht. Dani, Mitglied in der Tory-Partei von Premierminister Rishi Sunak, beteuert, er hege keinen Groll. Vielmehr fühle er sich von London verraten. Die Regierung finde kein Mittel gegen die hohe Zahl der Migranten. Die Kommune bleibe mit den Sorgen alleine. Es würden keine Sprachkurse angeboten, keine Schulen gebaut, keine Lehrer eingestellt. Für den Ex-Bürgermeister ist klar: Die Lösung könne nur „mehr Brexit“ heißen.

Weitere Sorgen: Der Handel mit der EU ist eingebrochen. Die Preise für Lebensmittel sind gestiegen, die Reallöhne gefallen. Einiges liegt an den Corona-Folgen und am russischen Krieg gegen die Ukraine. Doch für Experten ist offensichtlich, dass der Brexit einen Anteil an vielem trägt, das im Land schiefläuft.

Artikel 11 von 11