München – Sechs Verhandlungsrunden und die einzige Zahl, die wuchs, war die der Vertragsseiten: 140 waren es am Ende, voller Kompromisse im Detail, aber ohne den großen Wurf. So sieht es die Eisenbahnergewerkschaft EVG, die am Mittwoch die Tarifgespräche mit der Deutschen Bahn für gescheitert erklärt hatte. In dem wuchtigen Vertragswerk stecke schlicht zu wenig Substanz, sagt EVG-Verhandlungsführer Kristian Loroch am Tag darauf.
Und nun? Droht ein zäher Arbeitskampf. Die Gewerkschaft will rund 110 000 Mitglieder per Urabstimmung über unbefristete Streiks entscheiden lassen, 75 Prozent Zustimmung sind nötig. Bis zum Ergebnis kann es laut EVG-Chef Martin Burkert zwar bis zu fünf Wochen dauern; in der Zwischenzeit seien aber auch Warnstreiks denkbar. Ärgerlich ist das vor allem für Fahrgäste, denn die Sommerferien stehen an – in Bayern ab 31. Juli. Burkert versucht zu beruhigen: Man wolle Streiks „langfristig kommunizieren, alle Reisenden können sich darauf einstellen“.
Die Bahn nennt das Vorgehen der EVG in einer ersten Reaktion „absolut unnötig“. „Die EVG will jetzt Millionen Menschen die Sommerferien vermiesen. Das braucht und will niemand“, teilte der Konzern am Donnerstag mit. Es sei ein Unding, „die Reisenden ständig mit Streikdrohungen zu verunsichern“. Überhaupt herrscht Unverständnis. „Alles bisher in den Verhandlungen Erreichte ist nun weg.“ Dabei liege ein „unterschriftsreifer Tarifvertrag“ vor.
Tatsächlich wähnte man sich bei der Bahn wohl kurz vor einem Abschluss, bis Mittwoch sah es offenbar ganz gut aus. Personalchef Martin Seiler hatte sich auf eine finale Verhandlungsnacht eingestellt, doch die EVG-Tarifkommission erklärte die Gespräche am Abend überraschend für gescheitert. „Was da passiert“, sagte Seiler kurz darauf empört, „ist unglaublich.“
Ähnlich schätzt die Gewerkschaft allerdings die bisherigen Verhandlungen ein. Was da auf dem Tisch liege, sei einfach zu wenig, sagt Burkert. Zwölf Prozent mehr Geld hatte die EVG zu Beginn gefordert, mindestens aber 650 Euro pro Monat. Die Bahn bot offenbar zwei Mal 200 Euro Gehaltsplus und eine Inflationsausgleichsprämie in Höhe von 2850 Euro an. Der Knackpunkt war die Vertragslaufzeit: Die EVG forderte ein Jahr, um dann schnell wieder auf Inflationssprünge reagieren zu können, die Bahn bot 27 Monate. Angesichts dieser „unglaublich langen Laufzeit“ sei das Gehaltsplus viel zu niedrig, sagt Burkert.
Die EVG fühlt sich vor allem deshalb verschaukelt, weil sie mit anderen Betreibern schon zufriedenstellende Abschlüsse erzielt hat. Mit dem französischen DB-Konkurrenten Transdev etwa einigte man sich auf 420 Euro mehr Gehalt und 21 Monate Vertragslaufzeit. Burkert lässt durchklingen, dass er sich das auch von der DB gewünscht hätte.
Statt einer Einigung gibt es nun größtmöglichen Frust – auch aufseiten der Politik. „Ich kann beide Verhandlungspartner nur dazu aufrufen, endlich eine Einigung zu finden“, sagt Bayerns Verkehrsminister Christian Bernreiter (CSU) unserer Zeitung. „Aus Sicht der Fahrgäste ist es nicht nachvollziehbar, dass ständig wieder Streiks im Raum stehen, gerade jetzt, wenn die Urlaubs- und Ferienzeit ansteht.“ Das Verständnis nehme stark ab. Der Unions-Frationsvize im Bundestag, Ulrich Lange (CSU), nannte die EVG am Morgen einen „sturen Verein, der die Scheuklappen aufhat und mit dem Kopf durch die Wand will“. Linken-Chefin Janine Wissler sieht die Schuld bei der Bahn und ihrer „Blockadehaltung“.
Bei der EVG will man nichts ausschließen, Nachverhandlungen ebenso wenig wie eine Schlichtung. Der Druck liegt nun vor allem bei der Bahn. Denn je länger eine Einigung auf sich warten lässt, desto eher droht ihr und ihren Kunden eine doppelte Auseinandersetzung. Ende Oktober läuft nämlich die Friedenspflicht der Lokführer aus, die vor allem in der Konkurrenzgewerkschaft GDL organisiert sind. Deren Streitlust kennt die Bahn nur zu gut. mit dpa