Scholz schaltet sich in Asyl-Streit ein

von Redaktion

Kanzler: Suche nach besserem Leben ist kein Asylgrund – Kirche rügt „Migrationsfeindlichkeit“

Berlin/München – Als der Kanzler im Bundestag ans Pult tritt, hat er eine Regierungserklärung vor sich. Aber den schwierigeren Auftritt schon hinter sich. Brisanter als Olaf Scholz’ Rede vor den Abgeordneten, also vor Freund und Feind, dürfte sein Termin am Vorabend gewesen sein: Da fuhr er zu Repräsentanten der Evangelischen Kirche, um sich für den Asylkompromiss in Europa herwatschen zu lassen. Und ihn zu verteidigen.

Der SPD-Kanzler steigt nun mit Wucht (er würde sagen: Wumms) in die Debatte um Flucht, Migration und Abschottung ein. Er weiß, dass das in seiner Koalition eine sehr heikle Frage ist. Anfang Juni hatten sich die Innenminister aus den EU-Staaten auf Grundzüge eines Asylsystems geeinigt. Kernpunkte: Asylverfahren an den Außengrenzen, dafür ein verbindlicher Solidaritätsmechanismus zur Verteilung von Flüchtlingen mit Schutzanspruch. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte das mitverhandelt. Die Grünen als Koalitionspartner reagierten in Teilen entsetzt. Unter anderem wollten sie, dass Familien von der Pflicht, in Zentren an Außengrenzen abzuwarten, ausgenommen werden. Noch fundamentalere Kritiker sprechen von „Lagern unter haftähnlichen Bedingungen“.

Die Grünen haben in mühsamen Beratungen den internen Krach darüber befriedet. Die Evangelische Kirche zeigt ihre politische Positionierung noch ein Stück jenseits davon. Europa habe „den kleinsten gemeinsamen Nenner in der Migrationsfeindlichkeit gesucht und gefunden“, warf die EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus Scholz bei seinem Besuch vor. „Wer wir sind und was uns unsere sogenannten Werte wert sind, das zeigen wir auch und gerade im Umgang mit Geflüchteten.“

Scholz reagierte für seine Verhältnisse deutlich. Zur Wahrheit gehöre, dass nicht jeder vor einem Krieg Schutz suche oder verfolgt werde. „Nicht jedem, der in der Hoffnung auf ein besseres Leben nach Deutschland kommt, kann Deutschland ein solches Leben auch ermöglichen.“ Der Kanzler warnte vor einem Kippen der Stimmung. „Nur so erhalten wir die Zustimmung dafür, dass es Zuwanderung braucht.“

Im Bundestag am Donnerstag untermauert er das. Als „historische Einigung“ preist er den Asylkompromiss in seiner Regierungserklärung. „Deutschland wird durch ein solches neues und faires System auch entlastet, denn bisher waren wir das Hauptziel für weitgehend ungesteuerte Binnenmigration innerhalb des Schengen-Raums.“ Wer nur sehr geringe Aussichten habe, als Flüchtling anerkannt zu werden, „der wird künftig direkt an den Außengrenzen ein schnelles Asyl- und Rückkehrverfahren durchlaufen“. Er deutet aber auch Nachverhandlungen an. „Wir werden dafür sorgen, dass die Einigung noch besser wird, bis sie endgültig beschlossen ist.“

Der alte Streit in und mit den Grünen flammt im Bundestag kurz auf. Fraktionschefin Britta Haßelmann rügt, „dass 23 von 27 Ländern sich nicht bereit erklären, Kinder bisher aus dem Grenzverfahren herauszunehmen, ist ein untragbarer Zustand“.

Die Union schiebt den Dissens ins Rampenlicht. „Was gilt denn jetzt, Herr Bundeskanzler: Historische Einigung oder Aufweichen und Aushöhlen dieses Kompromisses“, sagt CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt in seiner Replik auf Scholz: „Sie schaffen keine Sicherheit damit in Europa. Sie verspielen das Vertrauen unserer europäischen Partner.“ C. DEUTSCHLÄNDER/C. BUSCHOW

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