VON MARCUS MÄCKLER
Einen Tag lang roch es in Russland nach Umsturz. Und obwohl es am Ende nicht so kam, hat der vergangene Chaos-Samstag den Kreml tief erschüttert. Die Wagner-Truppen mögen Wladimir Putin nicht aus seinem Bunker gezerrt haben – aber sie haben sein System, das auf ständiger Kontrolle und unbedingter Autorität beruht, derart beschädigt, dass es für ein ganzes Autokratenleben reicht.
Es ist beileibe nicht die erste, aber die größte Demütigung für Putin. Sie ist deshalb so gewaltig, weil der Kurzzeit-Aufstand ihn so schwach gezeigt hat wie nie zuvor: Erst bekam der Kreml-Herrscher den lange schwelenden Streit zwischen Söldner-Chef Prigoschin und der Militärführung nicht in den Griff. Dann war er unfähig, das selbst geschaffene Wagner-Monster (militärisch) zu stoppen, als es sich gegen ihn wandte. Schließlich musste er, was für ein Akt der Verzweiflung, seinen Belarus-Vasallen Lukaschenko um Hilfe bitten – und den „Verräter“ Prigoschin ungeschoren davonkommen lassen. Dass der Wagner-Chef überdies einen der Vorwände für Russlands Angriff auf die Ukraine als Lüge enttarnte, dürfte Putins kleinste Sorge sein.
All das wird nachhallen. In der Ukraine fehlen Putin jetzt die blutrünstigen Wagner-Söldner, denen er die größten „Erfolge“ verdankt. Bei den regulären Truppen dürfte sich Verunsicherung breitmachen. Vor allem aber hat die Autorität des Möchtegern-Zaren schweren Schaden genommen, vor den Augen der Welt und wichtiger: vor den Augen des eigenen Machtzirkels. Wenn das nicht der Anfang seines Endes sein soll, muss er reagieren. Vielleicht schlägt er um sich, im eigenen Land, in der Ukraine oder in Belarus. Es würde jedenfalls nicht wundern, wenn Prigoschin demnächst aus irgendeinem Fenster stürzte.
Marcus.Maeckler@ovb.net