Gezerre um den Green Deal

von Redaktion

VON MARC BEYER

München/Brüssel – Der Termin, an dem der Streit sich entzündet, schien eine Petitesse zu sein. Als die EU-Kommission vor einem Jahr ihren Entwurf zu einem Renaturierungsgesetz vorlegte, war die Kritik allenfalls verhalten. Nun naht die Entscheidung, zunächst stimmt heute der Umweltausschuss des Europaparlaments über das Papier ab. Doch harmonisch ist der Prozess schon lange nicht mehr. Und die Fronten verlaufen quer durch die Fraktion der Europäischen Volksparteien.

Gegenüber der „FAZ“ hat EVP-Chef Manfred Weber seine Parteifreundin, Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, aufgefordert, das Gesetz zu kassieren. „Sie müsste den Vorschlag zurückziehen, nachdem der zuständige Vizepräsident Frans Timmermans bisher dazu nicht bereit ist.“ CSU-Vize Weber argumentiert, das Papier weise handwerkliche Fehler auf.

Mit dem Gesetz will die EU-Kommission die Mitgliedstaaten verpflichten, bis 2030 einen erheblichen Teil der Flächen und Meeresgebiete zu renaturieren. Geschädigte Ökosysteme sollen wiederhergestellt werden, zum Beispiel durch die Vernässung von Mooren oder die deutliche Reduzierung des Pestizideinsatzes. Im ursprünglichen Entwurf war von 20 Prozent der Flächen die Rede, vergangene Woche einigten sich die EU-Umweltminister dann auf 30, aber mit zahlreichen Ausnahmen. So soll das Renaturierungsziel etwa nicht für Meeresgebiete mit „weichem Sediment“ gelten, um Fischer nicht zu beeinträchtigen.

Die EVP-Fraktion argumentiert schon länger, dass das Gesetz mit seinen Einschränkungen den Lebensunterhalt der Landwirte gefährde. Dadurch stehe „die Nahrungsmittelversorgung in Europa und der Welt“ auf dem Spiel, sagt Weber. Der niederländische Kommissionsvize Timmermans wittert dagegen eher wahltaktische Motive und beklagt eine „Blockadehaltung“ der Konservativen.

Deren wachsender Widerstand hat auch zu tun mit einer Reihe spektakulärer Wahlergebnisse. In den Niederlanden, wo im Frühjahr die Bauer-Bürger-Bewegung BBB bei den Wahlen zu den Provinzparlamenten mehr als 20 Prozent holte. Bei einem Besuch im Nachbarland habe er „in weinende Bauerngesichter geblickt“, berichtete der CDU-Europaparlamentarier Norbert Lins. Auch in Italien, Schweden oder Finnland hatten Protestparteien und Rechtspopulisten Zulauf.

Die Angst, mit ehrgeizigen Klimaschutzgesetzen die Bürger – konkret die Landwirte – zu überfordern, befeuert den Widerstand der EVP. Jenseits der Metropolen sei die Sichtweise eine andere, gab CDU-Mann Lins neulich zu bedenken. „Von einer Dachterrasse in Berlin-Prenzlauer Berg, Stuttgart-Birkach oder Köln-Ehrenfeld kann man leicht Vorgaben für die Landwirt- und Forstwirtschaft sowie die Menschen im ländlichen Raum insgesamt machen.“

Das Gesetz spielt eine wichtige Rolle im „Green Deal“, mit dem die EU Europa zum ersten klimaneutralen Kontinent machen will. Bis 2030 soll die Zahl der Treibhausgasemissionen gegenüber 1990 um 55 Prozent gesenkt werden („Fit for 55“), bis 2050 soll die Wirtschaft keine Netto-Treibhausgase mehr ausstoßen. Gelingen soll dies etwa durch Emissionshandel, eine CO2-Bepreisung im Luft- und Seeverkehr, den drastischen Ausbau der Erneuerbaren Energien oder die Förderung energetischer Sanierungen. Viele Maßnahmen sind schon besiegelt, heute geht es um die Renaturierung.

Die Münchner Grünen-Abgeordnete Henrike Hahn wirft der EVP vor, „mit der Anti-Green-Deal-Haltung weiter ihr Bündnis mit Rechtsaußen zu festigen“. Dabei liege die wahre Bedrohung für die Ernährungssicherheit in Klimawandel und Rückgang der biologischen Vielfalt. Das Renaturierungsgesetz sei ein „integraler Bestandteil des Green Deals“.

Der Widerstand dagegen solle den Green Deal nicht sabotieren, sagt hingegen Weber. „Aber es muss ein Deal mit den Bürgern werden.“ Ähnlich klang vorigen Monat schon Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, als er monierte, in ihrer Regulierungswut stehe die EU „vor den Amerikanern, den Chinesen und allen anderen Weltmächten“. Zustimmung erhielt er von Belgiens Premierminister Alexander De Croo: „Wir müssen verhindern, dass der Wagen überladen wird.“ Konkret beklagte er zu hohe Auflagen für die Industrie. Und für die Landwirtschaft.

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