Putins offene Rechnungen

von Redaktion

VON KLAUS RIMPEL

München – Der Kreml versucht am Tag nach dem Putsch-Wochenende so zu tun, als sei alles wieder unter Kontrolle. Der am Wochenende verhängte Anti-Terror-Notstand wurde aufgehoben. In einer Fernsehansprache am Montagabend dankte der russische Präsident Wladimir Putin „allen Soldaten, Mitarbeitern der Geheimdienste, die sich den Aufständischen in den Weg gestellt haben“.

Doch hinter den Kulissen tobt ein Machtkampf, dessen Ausgang völlig ungewiss ist. Der selbst angeschlagene Putin hat nun viele Rechnungen offen: Der Geheimdienst FSB hat ihn enttäuscht, weil er offenbar nicht von den Putsch-Plänen des Söldnerführers Jewgeni Prigoschin informiert war (anders als der US-Geheimdienst CIA).

Aber auch das russische Militär, das in Rostow kaum zur Gegenwehr gegen den Putschversuch in der Lage schien, wurde einmal mehr bloßgestellt. Putin erklärte am Montagabend, dass alles getan worden sei, um Blutvergießen zu verhindern. „Das hat Zeit gebraucht“, fügte er hinzu. Deshalb gab es in Russland Spekulationen, dass der schon wegen der Misserfolge in der Ukraine angezählte Verteidigungsminister Sergej Schoigu abgesetzt werden könnte.

Russische Militär-Blogger vermuten, dass Putin mit dem Versprechen, Prigoschins Erzfeind Schoigu zu opfern, auch den überraschenden Rückzug des Söldner-Führers erkaufte. Der Kreml dementierte das zwar schnell: Eine Veränderung an der Spitze des Ministeriums sei kein Bestandteil des Abkommens. Um das zu unterstreichen, wurde ein 47 Sekunden langes Video ohne Ton veröffentlicht, das Schoigu angeblich bei einem Besuch im Kampfgebiet in der Ukraine zeigen soll. Doch wann und wo diese Bilder entstanden, ist unklar.

Das russische Investigativportal rucriminal.info berichtete, Schoigu sei festgesetzt worden. Demnach soll er sich „in Isolation unter der Aufsicht einer persönlichen Wache“ befinden. Hintergrund sei eine Ermittlung des FSB wegen angeblicher Korruptionsvorwürfe.

Andere Medien spekulieren bereits, dass Alexei Djumin, ein enger Vertrauter Prigoschins, neuer Verteidigungsminister werden soll. Er ist Gouverneur des Gebiets Tula und ein Ex-Sicherheitsoffizier Putins. Mit dieser Personalie würde Prigoschin „im Prinzip“ kontrollieren, „wer zuerst an die Ressourcen des Verteidigungsministeriums kommt“, twitterte der Militärexperte Marcus Keupp.

Doch wie unklar die künftigen Machtverhältnisse im Kreml sind, wurde von einer anderen Meldung unterstrichen, die Prigoschins Teil-Sieg widerspricht: Die russische Zeitung „Kommersant“ berichtet, dass das Strafverfahren gegen ihn wegen des Aufstands weiter laufe. Der Kreml hatte am Samstag eigentlich die Einstellung mitgeteilt.

Laut der Vereinbarung muss der 62-jährige Söldnerchef künftig in Belarus leben. Wo er sich genau aufhält, ist noch immer unklar. Allerdings meldete er sich gestern erstmals seit dem geplatzten Aufstand zu Wort.

Der Aufstand, sagte er in einer Sprachnachricht auf Telegram, habe „schwerwiegende Sicherheitsprobleme“ in Russland aufgezeigt. Zudem betonte er, dass er die russische Führung nicht habe stürzen wollen. Die Militärkolonne seiner Truppe sei 780 Kilometer in Russland vorangekommen und sei bis rund 200 Kilometer vor Moskau gekommen. Die Söldner hätten „die gesamte Militärinfrastruktur blockiert“ einschließlich Luftwaffenstützpunkten entlang der Strecke. Zivilisten hätten seine Leute unterstützt.

Letztlich sei es ihm darum gegangen, die eigene Truppe vor der Eingliederung in russische Armee zu schützen. Putin erklärte in seiner TV-Ansprache aber, die aufständischen Söldner können der russischen Armee beitreten oder „nach Belarus gehen“. Jede weitere Erpressung sei „zum Scheitern verurteilt“.

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