München/Brüssel – Der Optimismus ist beeindruckend. Zumindest klingt Olaf Scholzrecht hoffnungsfroh, als er vor dem EU-Gipfel in Brüssel auf das bekanntermaßen schwierige Thema Flüchtlinge angesprochen wird. Der Bundeskanzler verweist auf das Treffen der Innenminister vor drei Wochen, als man sich auf schärfere Asylregeln, aber auch eine verbindliche Verteilung verständigte. „Ein großer Durchbruch“ sei da gelungen, schwärmt Scholz. Ein „Stabilitätsmechanismus, den wir schon länger gebraucht hätten“.
Er klingt in diesem Moment, als seien alle offenen Fragen zufriedenstellend beantwortet, aber ganz so einfach ist es nicht. Dass das Thema noch immer Spaltpotenzial hat, konnte nicht nur Scholz in den letzten Tagen den Äußerungen der üblichen Verdächtigen entnehmen. Vor allem Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban ist weit davon entfernt, einen Durchbruch zu erkennen.
Den jüngsten Asyl-Kompromiss lehnte er gerade erst in einem „Bild“-Interview ab. Wenn die EU sage, dass sie Migranten künftig in der EU verteilen werde, sei das eine Botschaft an die Schleuser, dass sie ihr Geschäft weiterbetreiben könnten. Der Ministerpräsident bekräftigte, dass sein Land sich an der Verteilung von Flüchtlingen in der EU nicht beteiligen und auch keine Ausgleichszahlungen leisten werde, wie sie die Innenminister eigentlich festgesetzt haben: 20 000 pro nicht aufgenommenen Flüchtling. Orban kontert, schon jetzt gebe sein Land mehr als zwei Milliarden Euro aus, um den Schengen-Raum vor illegalen Einwanderern zu schützen. Dafür habe das Land „keinen einzigen Cent aus Brüssel“ bekommen.
Es sind also schwierige Gespräche in Brüssel, zumal Orban auf einen bewährten Verbündeten bauen kann. Wenige Stunden vor Beginn des Gipfels kündigte Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki an, dass er ein Veto gegen den Solidaritätsmechanismus einlegen werde. „Die PiS-Regierung wird mit Sicherheit keinen Experimenten und keiner Erpressung in Bezug auf die Aufnahme illegaler Einwanderer zustimmen“, sagte er. Die Grenzen nicht wirksam zu schützen sei ein Fehler, der das Überleben der EU bedrohe.
Wie Polen – aber auch Ungarn – überhaupt ein Veto gegen die Asyl-Pläne einlegen will, blieb gestern zunächst unklar, da Entscheidungen im Bereich der EU-Migrationspolitik nach EU-Rechtsauffassung nicht einstimmig getroffen werden müssen. Denkbar wäre allerdings, dass beide Länder aus Protest gegen die Mehrheitsentscheidung der Innenminister andere Entscheidungen oder Erklärungen blockieren, bei denen einstimmige Beschlüsse erforderlich sind. Bei EU-Gipfeln zum Beispiel ist Einstimmigkeit immer erforderlich.
Die Präsidentin des EU-Parlaments, Roberta Metsola, appellierte in der Debatte an die Menschlichkeit. Kein Mann, keine Frau und kein Kind solle bei dem Versuch, Europa zu erreichen, in europäischen Gewässern sterben. „Das muss der absolute Punkt sein, den wir nie vergessen, wenn wir über Zahlen sprechen, denn wir neigen dazu, desensibilisiert zu werden, wenn die Zahlen größer werden“, sagte sie. Metsola antworte auf eine Frage, wo angesichts zahlreicher Bootsunglücke und Gewalt, denen Migranten ausgesetzt seien, das Menschenrecht bleibe.
Schwierige Gespräche werden auch zur geplanten stärkeren Zusammenarbeit mit Tunesien erwartet. Es gibt nach Angaben von Diplomaten vor allem in Italien Unmut darüber, dass Länder wie Deutschland geplante Finanzhilfen für den Staat in Nordafrika an strenge Bedingungen knüpfen wollen. Rom befürchtet, dass Tunesien bei zu strengen Auflagen nicht zu mehr Hilfe bereit sein könnte. mb/dpa