Tübingen – Es hat sich doch einiges angesammelt: Auf dem Schreibtisch von Boris Palmer in seinem Amtszimmer im zweiten Stock des historischen Rathauses von Tübingen liegt ein großer Stapel Akten, auch das E-Mail-Postfach ist gut gefüllt. Der inzwischen parteilose Oberbürgermeister steht an seinem Schreibtisch mit bestem Blick auf den Tübinger Wochenmarkt und arbeitet sich durch die Unterlagen, etwa wichtige Vorlagen für den Gemeinderat. „Die müssen in den Druck“, sagt Palmer.
Nach einer vierwöchigen Auszeit ist Palmer zurück im Rathaus. Der Oberbürgermeister der 90 000-Einwohner-Stadt hatte sich am 1. Juni verabschiedet – nach einem Eklat rund um Aussagen am Rande einer Migrationskonferenz in Frankfurt. Nach der Eskalation war er auch bei den Grünen ausgetreten.
Vermisst, so gibt er zu, habe er die Arbeit im Rathaus während seiner Abwesenheit nicht wirklich. „Ich bin immer gern ins Geschäft gegangen, kann aber auch ohne“, sagt er. Und jetzt? Kehrt ein neuer Palmer zurück ins Rathaus? Zumindest äußerlich hat sich der 51-Jährige nur leicht verändert. Er, der sonst gerne mal mit einem grünen oder knallblauen Jackett unterwegs war, trägt einen dunklen Anzug, ein graues Hemd und eine grau gestreifte Krawatte. Die grauen Haare sind ordentlich frisiert, der Vollbart etwas länger.
Auf Fragen antwortet er mit wenigen Worten, vorher überlegt er kurz. Es wirkt, als habe er in seiner Auszeit an seinem öffentlichen Auftritt gefeilt, sich Zurückhaltung auferlegt. Denn sein immer wieder aufbrausendes und spontanes Wesen hat ihn viel gekostet. Am Rande der Veranstaltung in Frankfurt Ende April hatte er alles andere als kontrolliert reagiert: Mit einer Protestgruppe stritt er über seine Verwendung des „N-Wortes“, einer früher in Deutschland gebräuchlichen Bezeichnung für schwarze Menschen. Die Protestierenden konfrontierten ihn mit „Nazis raus“-Rufen. Daraufhin sagte er: „Das ist nichts anderes als der Judenstern. Und zwar, weil ich ein Wort benutzt habe, an dem ihr alles andere festmacht. Wenn man ein falsches Wort sagt, ist man für euch ein Nazi.“
In der Auszeit, so hatte er es vorher angekündigt, wollte er „den Versuch machen, meinen Anteil an diesen zunehmend zerstörerischen Verstrickungen aufzuarbeiten“. Was also hat er gelernt? Dazu gibt sich Palmer wortkarg. „Es war gut, so wie es war.“ Details will er keine nennen. Und dann gibt er noch eine ungewöhnliche Antwort: „Ich antworte Ihnen mit einem Bibelzitat: Matthäus 7,16“, sagt Palmer. Darin heißt es: „An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen“.
Konkreter wird er bei seinem Umgang mit den Sozialen Medien, genauer seinem Facebook-Profil. Dort kündigte er an, die Kommentarfunktion einschränken zu wollen – auch um sich selbst zu schützen. „Man denkt zwar immer, man lässt das nicht so an sich heran: Es beeinflusst einen aber schon, wenn man dort ständig negative Energie aufnimmt“, sagt er. Ab sofort können auf Facebook deswegen nur noch Freunde von Palmer seine Beiträge kommentieren. DAVID NAU