Münster – Als Cem Özdemir 2021 Bundeslandwirtschaftsminister wurde, befürchteten viele Bauern das Schlimmste. Fachfremd und dann noch von den Grünen – das sorgte für Skepsis in den Ställen. Immerhin versteht sich der 57-Jährige in seinem Amt als Anwalt der Landwirte. Er will ein verlässlicher Partner bei der Umstellung zu mehr Klima- und Tierschutz sein. Doch Özdemirs Auftritt beim Deutschen Bauerntag in Münster zeigte, dass die Landwirte weiter mit ihm fremdeln.
„Von mir aus kann jeder so viel Fleisch essen, wie er will.“ Selbst für dieses Bekenntnis bekommt der Vegetarier Özdemir nur verhalten Beifall von den 500 Gästen. Dazu beigetragen haben Schlagzeilen wie „Nur noch 10 Gramm Fleisch pro Tag – Özdemir verbietet Fleisch“ oder „Fleisch-Bann im Ernährungsministerium – Özdemir serviert seinen Gästen nur noch Grünzeug“. Der Minister dementiert in Münster beides energisch, doch die Herzen gewinnt er nicht. Stattdessen wundern sich die Landwirte, dass die Ampel erstmals eine Beauftragte für Tierschutz ernannt hat – damit die Tiere eine Stimme bekommen. Eine Frau fragt den Minister: „Was glauben Sie, was das mit uns Tierhaltern macht?“ Ein anderer Delegierter wirft Özdemir „Greenwashing“, sprich grüne PR und Schönfärberei, vor.
Ein weiteres Eigentor handelt sich Özdemir selbst ein. In seiner Rede versichert er, dass die Grünen nicht die Tierhaltung abschaffen wollen. „Das schafft die CSU ganz alleine“, so Özdemir. So habe in Bayern in den letzten zehn Jahren mehr als die Hälfte der Betriebe aufgeben müssen. Doch ein Landwirt aus Bayern kontert mit dem Hinweis, dass Baden-Württemberg 50 Prozent Schweinehalter verloren habe. „Dort regiert mit Winfried Kretschmann seit 2011 ein grüner Ministerpräsident.“ Die Halle jubelt.
Özdemir hat es schwer – und macht es sich schwer. Als ihm ein Vertreter der Landjugend ein T-Shirt mit der Aufschrift „Zukunftsperspektive“ überreicht, nimmt der Minister das Geschenk an, faltet es zusammen und legt es beiseite. Er hätte es sich auch demonstrativ überstreifen können. Doch Cem Özdemir ist kein Robert Habeck. Der Wirtschaftsminister sprach vor zwei Wochen auf einer Kundgebung von ThyssenKrupp Steel in Duisburg und zog das dort überreichte rote T-Shirt der Gewerkschaft sofort an.
Eigentlich ist Özdemir ein guter Redner. 2019 ehrte ihn die Uni Tübingen für die „Rede des Jahres“. Es ging dabei um einen Debattenbeitrag im Bundestag, in dem der Grüne mit einem Antrag der AfD abrechnete. Özdemirs stärkste Passagen auf dem Bauerntag in Münster sind dann auch jene, in denen er leidenschaftlich für das Miteinander und die Demokratie kämpft. Der Agrarminister wirbt für so viele Mittel wie möglich für einen zukunftsfesten Umbau der Tierhaltung. Jeder Cent, der hier investiert werde, sei ein wichtiger Beitrag für die Zukunft der ländlichen Räume. Dort entscheide sich die Zukunft der Demokratie. Wenn verhindert werden solle, dass Themen wie Land und Stadt oder Zugewanderte und Einheimische von Radikalen zugespitzt würden, brauche es mehr Lobby für ländliche Räume in der Politik.
Doch über seinen Einstiegswitz – eine absichtlich falsche Schlagzeile – kann niemand lachen: „Wir Bauern können mit der Ampel nicht zufrieden sein, aber der Minister macht einen saumäßig guten Job.“ Auch am Schluss drückt sich der Minister unglücklich aus. Mit Blick auf die Uhr erklärt er: „Ich müsste schon längst weg sein.“
Damit kein falscher Eindruck entsteht: Özdemir ist ein Agrarminister, der die Probleme endlich anpackt. „Machen, nicht nur motzen.“ Er zitiert die Opposition in Berlin, um seine Stellung treffend zu beschreiben: „Er macht schon das Richtige, er ist halt nur von der falschen Partei.“ ALEXANDER SCHÄFER