München/Berlin – Seit es die AfD gibt, werden ihre Erfolge mit einem gewissen Politikverdruss verknüpft. Von Protestwählern ist dann schnell die Rede – ganz besonders im Osten, weil sich dort ja ohnehin viele abgehängt fühlten. Doch der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung (BPB), Thomas Krüger, will mit solch fast schon floskelhaften Erklärungen aufräumen. „Ich warne davor, die Wahl der AfD noch als Protest zu begreifen“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).
Die AfD als typisch ostdeutsches Phänomen abzutun greife ebenfalls zu kurz. Hinter diesem Etikett verberge sich eher der Versuch der Nicht-Ostdeutschen, das Phänomen zu erklären, sagt Krüger, der selbst aus Thüringen kommt. Es handle sich stattdessen vielmehr um „ein erfolgreiches Radikalisierungskollektiv“. In Teilen der Gesellschaft hätten sich bestimmte Positionen etabliert, die nicht hinnehmbar und mit demokratischen Prinzipien unvereinbar seien. Krüger sagt: „Die Wählerinnen und Wähler wollen diese Partei. Darin besteht der Ernst der Lage.“
Auch der Rechtsextremismus-Experte Martin Becher hält es für kontraproduktiv, wenn Politiker wie nach der Wahl des ersten AfD-Landrats vor wenigen Tagen im thüringischen Sonneberg fordern, mehr Verständnis für die Probleme der AfD-Wähler zu zeigen. Solche Aussagen bedeuteten unter dem Strich doch nichts anderes als: „Wenn ihr Aufmerksamkeit haben wollt, dann wählt rechte Parteien“, sagt Becher. Dabei sei die wirtschaftliche und soziale Lage beispielsweise in vielen ostdeutschen Städten wesentlich besser als etwa in Ballungsgebieten in Nordrhein-Westfalen, wo es eine höhere Arbeitslosigkeit gerade unter Migranten und eine teils marode Infrastruktur gebe. Ein wichtiger Beitrag zur Lösung wäre für ihn „ein Konservatismus, der weiß, wofür er steht, und sich nicht nur durch Abgrenzung definiert, sowie ein Zusammenspiel von progressiven und konservativen demokratischen Kräften gegen rechtsaußen“.
SPD-Chef Lars Klingbeil sieht hingegen mehr Bürgernähe der Politikerinnen und Politiker als ein Mittel gegen das Umfragehoch der AfD. „Ich glaube, wir brauchen drei Dinge. Erstens: gute Politik, die die Alltagsprobleme der Menschen anpackt.“ Die Themen seien Löhne, Wohnen, Rente und bezahlbare Energie, sagt er der „Bild am Sonntag“. „Zweitens: einen politischen Stil, der den Leuten nicht erklärt, wie sie sein sollen, sondern ernst nimmt, was sie umtreibt. Und drittens: öfter mal raus aus Berlin und mit den Menschen im ganzen Land reden. Wir dürfen nicht ,die da in Berlin‘ sein.“ Klingbeil räumt ein, dass der Streit in der Ampel-Koalition über das Gebäudeenergiegesetz zu einer Unsicherheit in Deutschland beigetragen habe. Und: „Die AfD profitiert allgemein von Streit und Verunsicherung.“
Auch Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) sieht die Politik am Zug, AfD-Wähler zurückzugewinnen. „Die Wahl des AfD-Landrats in Sonneberg war schon eine Art Warnschuss“, sagt Haseloff „T-Online“. Gestern gewann in Sachsen-Anhalt erstmals ein AfD-Kandidat die Wahl für ein hauptamtliches Bürgermeisteramt: Knapp siegte Hannes Loth bei der Stichwahl in Raguhn-Jeßnitz bei Bitterfeld. „Wir müssen jetzt als Politik unsere Hausaufgaben besser machen. Kooperationen darf es mit der AfD nicht geben. Ihre Wähler aber zu diffamieren ist ein schlechter Weg.“
Allem Zulauf zu rechten Parteien und Gruppen zum Trotz hält Rechtsextremismus-Experte Becher die Demokratie in Deutschland aber für gefestigt. Die große Mehrheit der Bevölkerung sei nach wie vor bereit, die demokratischen Werte „gegen Angriffe von innen und außen zu verteidigen“, sagt er. Beim Blick auf Europa sei er da weniger optimistisch, dort seien die „Rechtsrucke“ in den vergangenen Jahren teils viel schärfer verlaufen.