Berlin – Für Angebote zur Sterbehilfe in Deutschland gibt es vorerst keinen gesetzlichen Rahmen mit Vorgaben zu Wartezeiten und verpflichtenden Beratungen. Im Bundestag verfehlten zwei Vorschläge dazu gestern eine Mehrheit. Das Parlament forderte angesichts von jährlich rund 9000 Suiziden aber einen Ausbau von Angeboten zur Vorbeugung. Hintergrund der Initiativen zweier Abgeordnetengruppen war ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das ein Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe im Strafgesetzbuch 2020 gekippt hatte – weil es das Recht auf selbstbestimmtes Sterben verletzte.
In einer sachlich geführten Debatte hatten beide Abgeordnetengruppen um Unterstützung für ihre Vorschläge geworben. Die FDP-Politikerin Katrin Helling-Plahr sagte, es gebe so viele Menschen, die sich Sicherheit wünschten, selbstbestimmt gehen zu dürfen, wenn für sie der richtige Zeitpunkt gekommen sei. Dabei dürfe man „nicht schon wieder mit dem Strafrecht drohen“. Lars Castellucci (SPD) sagte für die andere Gruppe, es gelte, begleiteten Suizid zu ermöglichen, aber nicht zu fördern. Wer dies organisiert anbiete und sich nicht an ein Schutzkonzept halte, mache sich dem Entwurf zufolge daher strafbar.
Für die striktere Regelung der Gruppe um Castellucci und Ansgar Heveling (CDU) stimmten 304 Abgeordnete, mit Nein votierten 363 und 23 enthielten sich. Der andere Entwurf der Gruppe um Helling-Plahr und Renate Künast (Grüne) bekam dann 287 Ja-Stimmen, es gab aber 375 Nein-Stimmen und 20 Enthaltungen. Mit großer Mehrheit angenommen wurde am Ende ein von beiden Gruppen getragener Antrag für einen Ausbau der Suizid-Vorbeugung. Dafür stimmten 688 Abgeordnete, es gab eine Nein-Stimme und vier Enthaltungen. Gefordert wird ein bundesweiter Präventionsdienst, der Menschen mit Suizidgedanken und Angehörigen rund um die Uhr online und mit einer einheitlichen Telefonnummer Ansprechpartner bietet.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach bedauerte, dass keiner der Anträge eine Mehrheit fand. Die jetzige Situation hinterlasse „natürlich eine gewisse Rechtsunsicherheit“. So werde es nun auch auf das eine oder andere Gerichtsurteil ankommen, wie der Rahmen für Suizidhilfe auszulegen sei. Lauterbach begrüßte einen vom Bundestag geforderten Suizid-Präventionsplan, an dem schon gearbeitet werde.
Der FDP-Abgeordnete Benjamin Strasser, der zur Gruppe Castellucci gehörte, sagte, man werde mit etwas Abstand beraten, ob und wie ein neuer Anlauf unternommen werden könnte. Nach der „Nicht-Entscheidung des Bundestags“ finde assistierter Suizid leider weiter in einem unregulierten Zustand statt. Die Linke-Abgeordnete Petra Sitte, die zur anderen Gruppe gehörte, bedauerte ebenfalls, dass die Suizidhilfe nun in einem „rechtlichen und medizinischen Graubereich“ verbleibe. Sie werde aber weiter stattfinden. Gut sei, dass Suizidhilfe nicht wieder in den Bereich des Strafrechts gestellt worden sei.
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz begrüßte es, dass sich der Bundestag gegen beide Entwürfe entschied. „So wird Deutschland vor einem ethischen Dilemma bewahrt“, sagte Vorstand Eugen Brysch. Die Bundesärztekammer nannte es richtig, dass in der letzten Sitzungswoche vor der Sommerpause keine Entscheidung gefallen sei. „Nun haben wir Zeit für die noch nicht ausreichend geführte gesamtgesellschaftliche Debatte“, sagte Präsident Klaus Reinhardt. Als ersten Schritt brauche es ein Gesetz zur Vorbeugung von Suiziden. Unabhängig von den gescheiterten Initiativen bestehen rechtliche Regeln. So ist Ärzten eine „Tötung auf Verlangen“ auch auf ausdrücklichen und ernstlichen Wunsch hin verboten, wie es in einer grundsätzlichen Erläuterung der Bundesärztekammer heißt. Indes könnten in bestimmten Situationen „Behandlungsbegrenzungen“ geboten sein. So solle ein „offensichtlicher Sterbevorgang“ nicht durch Therapien künstlich in die Länge gezogen werden.