Furchtlose Vorkämpferin aus dem Norden

von Redaktion

Schleswig-Holsteins Ex-Ministerpräsidentin Heide Simonis ist tot – ihre Entmachtung fesselte ein Millionenpublikum

Kiel – In der Geschichte der Bundesrepublik hat Heide Simonis für immer einen besonderen Platz: Am 19. Mai 1993 wählte der Landtag in Kiel die SPD-Politikerin zur ersten deutschen Ministerpräsidentin. Fast zwölf Jahre lang regierte die gebürtige Bonnerin Schleswig-Holstein, bevor ein Abweichler sie stürzte. Er oder sie verweigerte ihr bei der Ministerpräsidentenwahl am 17. März 2005 in vier spektakulären Durchgängen die Stimme und beendete so abrupt ihre Karriere. Millionen verfolgten das Drama am Fernseher.

Gut 18 Jahre nach ihrer schwersten Niederlage und nur wenige Tage nach ihrem 80. Geburtstag ist Simonis gestern zu Hause in Kiel gestorben. Politiker und Parteien reagierten mit Trauer und großem Respekt. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) würdigte Simonis als ein Vorbild für viele in der Politik. „Mit ihrer durchsetzungsstarken Art überzeugte sie schon als junge Bundestagsabgeordnete – auch mich“, schrieb Scholz auf Twitter.

Der aus Schleswig-Holstein stammende Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) sagte, „als erste Ministerpräsidentin hat Heide Simonis Geschichte geschrieben, als Repräsentantin meines Bundeslandes war sie eine Ikone“. Dass Simonis 2005 bei ihrer geplanten Wiederwahl zur Ministerpräsidentin eine Stimme fehlte, sei ein schwerer Schlag für sie gewesen. Dennoch habe er Simonis danach immer als eine starke, charismatische Frau erlebt.

Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) sagte, „ich trauere um eine große Politikerin und um eine leidenschaftliche Schleswig-Holsteinerin“. Simonis habe mit ihrer Persönlichkeit, ihrem Engagement, ihrer Menschlichkeit und ihrer Geradlinigkeit Schleswig-Holstein noch liebenswerter gemacht. Der frühere Ministerpräsident Björn Engholm (SPD) sprach von einem großen Verlust. Sie sei in ihrer Zeit allen ihr gegenüber skeptischen Männern weit überlegen gewesen.

Simonis litt seit Jahren an Parkinson. Ihren letzten großen öffentlichen Auftritt hatte sie am 30. Juni 2014: Unter Beifall vieler Weggefährten verlieh der damalige Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) ihr die Ehrenbürgerwürde Schleswig-Holsteins. Als erste Frau nach fünf Männern wurde sie ausgezeichnet. „Du musstest immer ganz besonders kompetent sein, ganz besonders klug, besonders überzeugend, besonders durchsetzungsstark“, sagte Albig über die konfliktfreudige und zugleich harmoniebedürftige Frau.

Eine Kanzlerin oder eine Verteidigungsministerin war noch ziemlich undenkbar, als Simonis 1993 Regierungschefin in Kiel wurde. Sie löste damals Engholm ab, der an Spätfolgen des Barschel-Skandals von 1987 gescheitert war.

Nach der knapp verlorenen Landtagswahl 2005 verweigerte Simonis sich einer großen Koalition. Sie wollte mit einer rot-grünen Minderheitsregierung weitermachen – unterstützt vom Südschleswigschen Wählerverband. Das böse Wort von „Pattex-Heide“, die an ihrem Posten klebe, machte die Runde. Dann musste sie doch den Stuhl für ihren CDU-Rivalen Peter Harry Carstensen räumen. Es fiel ihr spürbar schwer, sich an ein Leben ohne politische Macht und tägliche Aufmerksamkeit zu gewöhnen.

Als Deutschland-Vorsitzende von Unicef fand Simonis ein neues Betätigungsfeld. Eine Vertrauenskrise beim Kinderhilfswerk zwang sie 2008 zum Rücktritt. Bereits 2006 erregte sie öffentliches Aufsehen mit Auftritten, die sie später bereute: Für Tanzeinlagen in der RTL-Show „Let’s dance“ wurde sie als „Hoppel-Heide“ verspottet.

Die streitbare Sozialdemokratin trug mit Gegnern und Parteifreunden viele Kämpfe aus und holte sich manche Schramme. Respekt vor ihrer Leistung versagte ihr kaum jemand. Sie stand für Frauenpower, das Soziale in der Politik und – zunächst widerwillig – für Rot-Grün.

Schlimm war der Schock, als ein bis heute unbekannter Abweichler sie 2005 in geheimer Wahl stürzte: „Ich habe eine solch persönlich verletzende Situation noch nie erlebt.“ Intern sprach sie von einem „hinterhältigen Dolchstoß“. WOLFGANG SCHMIDT

Artikel 2 von 11