„Diese Regierungen beeindruckt nur Geld“

von Redaktion

Die Vize-Präsidentin des EU-Parlaments, Katarina Barley, warnt vor Investitionen in Ungarn

Straßburg – Ende 2022 hat die Europäische Kommission entschieden, dass EU-Gelder in Milliardenhöhe nicht an Ungarn und Polen ausgezahlt werden. Milliarden, die beide Länder sehr gut gebrauchen könnten. Um das Geld zu bekommen, müssen Reformen im Land geschehen, die einen Pfad zurück zur Rechtsstaatlichkeit aufzeigen. Die Vize-Präsidentin des Europäischen Parlaments, Katarina Barley (SPD), blickt im Interview mit unserer Zeitung mit Sorge auf die Entwicklung in Polen und Ungarn – und rät deutschen Unternehmen eindringlich von Investitionen in Ungarn ab.

Frau Barley, die EU erhöht seit einiger Zeit den politischen Druck auf Ungarn und Polen und hält Milliarden von Euro zurück. Wirken diese Maßnahmen?

Zumindest merken wir erstmals überhaupt eine Reaktion, es macht Eindruck. Das war bei vorherigen Maßnahmen nicht der Fall. Das einzige, was diese Regierungen beeindruckt, ist Geld. Wir sehen also jetzt in beiden Ländern etwas Bewegung, beide Länder legen Vorschläge für Reformen vor. In Ungarn sind die jedoch deutlich weniger konstruktiv als in Polen. In Polen wird es besser, aber es ist noch nicht gut. Bei der ungarischen Regierung aber geht es genauso weiter wie bisher. Aus meiner Sicht passiert aber vonseiten der EU noch viel zu wenig. Diese Regierungen aufzufordern, ihre eigenen Systeme zu reformieren, ist nur sehr begrenzt wirksam. Wenn Orbán Pläne für eine Antikorruptionsbehörde vorlegt, dann ist daran zu zweifeln, wie viel das wirklich bringt. In diesen Systemen wird niemals eine wirklich unabhängige Behörde entstehen, das ist klar.

Die EU könnte den Druck doch weiter erhöhen, indem sie noch mehr Geld einfriert?

Es gibt keine Regel, die das verbietet. Es muss nur angemessen sein – und darüber entscheidet der Europäische Gerichtshof.

Warum werden denn dann nicht alle Register gezogen? Was müssen diese Regierungen denn noch alles tun?

Ja, das ist eine gute Frage. Aber die Frage ist auch: Was genau bedeutet das, alle Register zu ziehen? Wir sehen uns im Parlament aktuell vor allem mit dem Problem konfrontiert, dass Ungarn ab Sommer 2024 und direkt im Anschluss Polen die Ratspräsidentschaft übernehmen sollen. Wir als Parlament überlegen gerade, wie wir damit umgehen sollen. Können sie von der Präsidentschaft ausgeschlossen werden? Oder nur von bestimmten Themen? Damit beschäftigen wir uns gerade.

Sehen Sie noch andere Wege, den wirtschaftlichen Druck zu erhöhen, etwa, indem man Unternehmen dazu bewegt, nicht in Ungarn zu investieren?

Genau darum bemühe ich mich schon lange. Das Problem ist, dass einige Unternehmen stark vom System in Ungarn profitieren. Sie zahlen kaum Steuern, bekommen den direkten Draht zur Regierung, und Gesetze werden zu ihren Gunsten verändert, wenn sie ihnen nicht passen. Das ist für diese Unternehmen natürlich äußerst bequem. Besonders Automobilunternehmen scheinen da zu profitieren. Sie werden bisher auch von der Kehrseite des Systems Orbán verschont.

Was ist denn die Kehrseite?

Es gibt zahlreiche Unternehmen – und es werden immer mehr – die erst von der ungarischen Regierung ins Land gelockt und dann abgezockt werden. Das System funktioniert so: Die Unternehmen werden mit niedrigen Kosten gelockt und gehätschelt, damit sie investieren. Haben die Unternehmen erst mal in Ungarn investiert, läuft alles super, bis sie dann schwarze Zahlen schreiben. Dann beginnt die Drangsalierung – und zwar auf eine Art und Weise, die man sich kaum vorstellen kann. So sollen Unternehmen plötzlich Sondersteuern in Höhe von bis zu 90 Prozent bezahlen. Oder ihnen werden neue Auflagen gegeben, die sie, auch wenn sie sie erfüllen wollen, nicht erfüllen können, weil ihnen dafür die Anträge von der Verwaltung nicht genehmigt werden. Andere berichten sogar davon, dass Mitarbeitende bedroht werden. Und am Ende passiert in der Regel das Gleiche: Die Unternehmen erhalten ein Übernahmeangebot für das Geschäft in Ungarn, in Höhe von ca. 30 Prozent des eigentlichen Wertes. Käufer sind immer Oligarchen, die Orbán nahestehen. Vor einiger Zeit hat Vodafone bekannt gegeben, dass sie ihr Ungarn-Geschäft an Orbán-nahe Käufer veräußern. Das ist genau diese Masche. Es weitet sich auch immer mehr aus: von Energie- und Baustoffunternehmen inzwischen auch bei Lebensmittelketten.

Sie haben gesagt, dass Automobilhersteller bisher von diesen Taktiken verschont blieben. Gerade erst hat auch BMW bekannt gegeben, dass sie eine neue Batteriefabrik bauen wollen…

Ja, das ist schon bemerkenswert. Dabei könnte BMW überall bauen – in Rumänien zum Beispiel, da sind die Kosten auch niedrig, da gibt es auch Orte mit guter Infrastruktur. Da stelle ich mir schon die Frage, warum es bei diesen politischen Rahmenbedingungen ausgerechnet Ungarn sein muss? Aber wir als EU-Parlament können sie nicht aufhalten. Deswegen ist es so wichtig, dass die Unternehmen, die diesen Umgang in Ungarn erlebt haben, ihre Erfahrungen öffentlich machen. Damit auch die Unternehmen, die über eine Investition in Ungarn nachdenken, diese Aspekte kennen und hoffentlich berücksichtigen.

Interview: Amy Walker

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