Aus des Getreide-Deals: „Hungerleidende zahlen den Preis“

von Redaktion

Moskau kündigt Abkommen und fordert Sanktions-Erleichterungen – Kiew will Getreide dennoch weiter exportieren

Kiew/Moskau – Fast ein Jahr lang konnte die Ukraine ihr Getreide trotz des russischen Angriffskriegs auf den Weltmarkt bringen – dank eines von der Türkei und den Vereinten Nationen vermittelten Abkommens. Am Montag hat Russland den Deal einseitig aufgekündigt, nur Stunden bevor er ausgelaufen wäre. Das hat vor allem für arme Länder Konsequenzen.

Das Abkommen sei „de facto beendet“, hatte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow zuvor gesagt. Russland wolle die Einigung aber „sofort“ wieder aufleben lassen, sobald die Abmachungen gegenüber der russischen Seite eingehalten würden. Der im Juli 2022 in Istanbul unterschriebene Deal wurde schon zweimal verlängert, zuletzt bis zum 17. Juli. Er ermöglichte der Ukraine, über das Schwarze Meer Getreide zu exportieren. 2022 wurden so fast 33 Millionen Tonnen Getreide aus ukrainischen Häfen ausgeführt.

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) verurteilte die russische Entscheidung. Putin setze „in seinem brutalen Angriffskrieg“ gegen die Ukraine „erneut Hunger als Waffe gegen die ganze Welt“ ein, sagte sie. Das Aus des Deals sei ein „Schlag für notleidende Menschen überall“, erklärte UN-Generalsekretär António Guterres. Millionen hungerleidende Menschen würden „den Preis bezahlen“. Die USA forderten Moskau auf, zum Abkommen zurückzukehren. Die Entscheidung müsse „unverzüglich“ revidiert werden, twitterte Adam Hodge, Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates.

Die Vereinbarung hatte dazu beigetragen, die Auswirkungen des Krieges auf die globale Nahrungsmittelversorgung abzumildern. Die Ukraine ist einer der größten Getreideproduzenten der Welt. Nun könnten die globalen Agrarpreise steigen. Auswirkungen auf Deutschland sind nicht zu befürchten. In armen Ländern wie Äthiopien, Somalia oder Jemen, die auf Ukraine-Weizen angewiesen sind, haben hohe Preise aber fatale Auswirkungen auf die Ernährungssituation.

Moskau hatte seit mehreren Wochen gedroht, das Abkommen auslaufen zu lassen. Der Kreml beklagt die durch westliche Sanktionen bestehenden Beschränkungen für die Ausfuhr von Dünger und eigener Agrarprodukte. Zwar betreffen die Sanktionen weder Getreide noch Dünger direkt – aber die Geschäfte im internationalen Zahlungsverkehr und bei Frachtversicherungen sind schwierig. Bettina Rudloff, Agrarökonomin der Stiftung Wissenschaft und Politik, meint indes, Russland wolle Märkte und politische Akteure verunsichern. Dauerhaft könne es so für die Ukraine „nicht mehr ökonomisch sein, in die Landwirtschaft zu investieren“, sagte sie dem Sender phoenix.

Kiew will seine Getreideexporte trotz allem aufrechterhalten. Es müsse „alles getan werden, damit wir diesen Schwarzmeer-Korridor nutzen können. Wir haben keine Angst“, erklärte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj. „Wir wurden von Unternehmen angesprochen, die Schiffe besitzen.“ Diese hätten sich bereit gezeigt, die Lieferungen fortzusetzen.

Damit sind aber Gefahren verbunden. Zwar könnten Getreide-Frachter die drei ukrainischen Häfen ohne Russlands Zustimmung verlassen, gingen aber das Risiko ein, beschossen zu werden. Moskau könnte die Häfen auch erneut blockieren.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan, der das Abkommen mitverhandelt hatte, glaubt an eine Verlängerung. „Ich glaube, dass mein Freund Putin das Abkommen trotz der heutigen Erklärung fortsetzen will“, sagte Erdogan.  afp/dpa

Artikel 4 von 11