Wütender Empfang für Göring-Eckardt

von Redaktion

Bundestagsvizepräsidentin wird auf Ost-Reise angefeindet – Ramelow beklagt Pauschalurteile

München – Mit Sirenen, Trommeln und Tröten wird Katrin Göring-Eckardt in Dessau an der Elbe empfangen. Ein breiter Mann in dunkler Kleidung ruft der Bundestagsvizepräsidentin aus wenigen Metern Entfernung über ein Megafon entgegen, wofür er sie hält: „grünen Abfall“. „Pfui Deibel“, ruft er hinterher. „Pfui, pfui, pfui.“

Göring-Eckardt erträgt die Situation stoisch. Die Arme auf dem Rücken verschränkt steht sie da. Wechselt ab und zu ein paar Worte mit den Polizisten, die neben ihr stehen, um sie zu schützen. Was sie sagt, kann man nicht verstehen. „Kriegstreiber, Kriegstreiber“ skandieren Schreihälse hinter einer AfD-Flagge.

Die Grünen-Politikerin ist gerade auf Sommertour im Osten der Republik unterwegs. Mit dem Rad und der Bahn reist sie durch Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Thüringen, um mit Menschen in Dialog zu kommen. „Tour de Demokratie“ nennt Göring-Eckardt ihre Reise. Dass man diesen Titel auch als provokanten missionarischen Auftrag lesen kann, könnte mit ein Grund sein, warum sie mancherorts unfreundlich empfangen wird. Dem „Tagesspiegel“ hatte sie vor dem Hintergrund hoher Zustimmungswerte für die AfD jüngst zudem gesagt, ein Teil der Ostdeutschen sei „irgendwo in der Diktaturverherrlichung hängen geblieben“.

Eine harsche Sichtweise, mit der sie allerdings nicht ganz alleine steht. Der Politikwissenschaftler Carlo Masala von der Bundeswehr-Universität in Neubiberg stellt angesichts des Hasses der Göring-Eckardt entgegenschlägt sogar die Frage, „ob es sich wirklich lohnt und überhaupt möglich ist, diese Menschen in die Mitte zurückzuholen“. Sämtliche demokratischen Parteien sollten darüber nachdenken, schreibt er auf Twitter.

Tatsächlich ist das politische Klima im Osten schon länger rauer. Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) musste während der Corona-Krise damit umgehen, dass sich plötzlich eine kleinere Menschenmenge vor seinem Privathaus versammelte um bei ihm direkt ihren Unmut abzuladen. Und die jüngsten Szenen in Dessau erinnern an manchen Auftritt der damaligen Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die um 2015 herum in Orten wie dem sächsischen Heidenau regelrecht niedergebrüllt wurde. Auffallend: Auch die Uckermarkerin Merkel kam wie die Thüringerin Göring-Eckardt eigentlich selbst aus dem Osten. Auch Merkel schlug besonders hier dennoch – oder gerade deshalb – oft unbändige Wut entgegen.

Das alles lässt eine Vorahnung zu, wie sehr sich die Stimmung im Osten der Republik im kommenden Jahr noch weiter aufheizen könnte. Denn dann steht im Frühsommer zunächst die Europa-Wahl an, die aufgrund ihrer Tradition als Protestwahl vor allem im Osten gute Ergebnisse für die AfD bringen dürfte. Im Herbst 2024 folgen dann die Landtagswahlen in drei Ost-Ländern. In den derzeitigen Umfragen steht die AfD in allen drei Ländern auf Platz eins oder zwei.

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) beklagt unterdessen Pauschalurteile, die in letzter Zeit über Ostdeutsche gefällt würden. „Was wir gerade erleben, ist eine teilweise Verzerrung der Realität“, sagt er der „Thüringer Allgemeinen“. Es sei so: „Wenn ich den ganzen Tag mit Kamerateams in Sonneberg und Umgebung unterwegs bin und nach Nazis suche, dann finde ich die auch.“ Durch skandalisierende Berichterstattung und verkürzte Analysen werde aber ausgeblendet, „welche sozialen und politischen Friktionen wir haben und was die AfD im Moment in ganz Deutschland hochtreibt“, sagt Ramelow. SEBASTIAN HORSCH

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