Knesset billigt Gesetz zu Justizreform

von Redaktion

VON CHRISTINA STORZ UND CINDY RIECHAU

Jerusalem – Trotz massiven Widerstands hat Israels Regierung ein Kernelement ihrer umstrittenen Justizreform durchs Parlament gebracht. 64 von 120 Abgeordneten stimmten nach tagelanger Debatte am Montag für einen Gesetzentwurf, der die Handlungsmöglichkeiten des Höchsten Gerichts einschränkt. Die Opposition boykottierte die Abstimmung. Das Gesetz ist Teil eines größeren Pakets. Kritiker stufen es als Gefahr für Israels Demokratie ein und warnen sogar vor der Einführung einer Diktatur. Israels Justizminister Jariv Levin sprach dagegen von einer „Korrektur des Justizsystems“.

Mit dem neuen Gesetz ist es dem Höchsten Gericht künftig nicht mehr möglich, eine Entscheidung der Regierung oder einzelner Minister als „unangemessen“ zu bewerten. Zahlreiche Experten befürchten, dass dies Korruption und damit auch die willkürliche Besetzung wichtiger Posten oder aber Entlassungen begünstigen könnte.

„Das Gericht verliert ein zentrales Werkzeug zur Kontrolle von Regierungspolitikern“, sagte der Präsident des israelischen Demokratieinstituts, Johanan Plesner. Wichtige Positionen im Land könnten mit „Ja-Sagern“ besetzt, die Generalstaatsanwältin entlassen werden. Auch die Zuweisungen von Finanzmitteln oder die Erteilung von Lizenzen für Unternehmen seien nicht mehr kontrollierbar.

Befürworter der Reform argumentieren, Richter seien anders als Abgeordnete oder Minister nicht direkt vom Volk gewählt. Sie seien jetzt unabhängiger von den Richtern und könnten Interessen ihrer Wähler leichter durchsetzen. Zudem werfen sie dem Höchsten Gericht immer wieder vor, eher „linke“ Ansichten zu vertreten.

Der Staat Israel hat keine schriftliche Verfassung und fußt stattdessen auf einer Sammlung von Grundgesetzen. Daher kommt dem Höchsten Gericht eine besondere Bedeutung bei der Wahrung von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten zu.

Unklar war zunächst, wie sich das Höchste Gericht nach der Verabschiedung des Gesetzes verhalten wird. Unter anderem Israels Rechtsanwaltskammer kündigte an, dort gegen das neue Gesetz vorgehen zu wollen. Laut Plesner wäre ein Eingreifen des Gerichts jedoch ein Präzedenzfall. „Das Gericht hat noch nie eine vergleichbare Änderung aufgehoben“, sagte er. Falls es sich dazu entschließen sollte, könnte dies zu einer „Staatskrise“ führen.

Seit mehr als einem halben Jahr spaltet das Vorhaben weite Teile der israelischen Gesellschaft. Währenddessen protestierten vor der Knesset zehntausende Menschen. Einige Demonstranten versuchten Medienberichten zufolge das Plenum zu stürmen. Die Protestbewegung kündigte an, ihren Protest „bis zum Ende“ weiterzuführen: „Wir haben gerade erst begonnen“, hieß es.

Verhandlungen über einen Kompromiss, die bis zur letzten Minute andauerten, blieben erfolglos. „Mit dieser Regierung ist es unmöglich, Vereinbarungen zu treffen, die die israelische Demokratie bewahren“, sagte Oppositionsführer Jair Lapid. Die Regierung wolle „den Staat auseinanderreißen, die Demokratie zerstören, die Sicherheit Israels, die Einheit des Volkes Israel und unsere internationalen Beziehungen zerstören“.

Zuletzt nahm auch der Widerstand innerhalb des Militärs zu. Zehntausend Reservisten kündigten an, nicht mehr zum Dienst zu erscheinen, sollte ein Teil der Pläne verabschiedet werden. Die Einsatzfähigkeit könnte massiv eingeschränkt werden. „Die Drohungen der Reservisten werden sicher zum Teil verwirklicht, weitere werden sich vielleicht anschließen“, sagte Plesner. Dies könne sich zu einer ernsten „Sicherheitskrise“ entwickeln. Auch aus der Wirtschaft gab es solche Drohungen.

Kritik kam auch von Israels engstem Bündnispartner, den USA. US-Präsident Joe Biden sprach sich noch am Morgen vor der Abstimmung gegen die Pläne aus. Die Bundesregierung reagierte am Abend besorgt. „Wir bedauern sehr, dass die Verhandlungen zwischen Regierung und Opposition unter Vermittlung von Staatspräsident Isaac Herzog vorerst gescheitert sind“, hieß es aus dem Auswärtigen Amt.

Artikel 7 von 11