Unions-Sturm über Friedrich Merz

von Redaktion

VON CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER, JÖRG BLANK, ULRICH STEINKOHL

Berlin/München – Der Sommersturm braut sich nachts über Friedrich Merz zusammen. Er beginnt Minuten nach seinem abendlichen ZDF-Interview. Ein Parteikollege nach dem anderen äußert sich irritiert, viele davon öffentlich auf Twitter, intern fliegen die SMS hin und her. Hat er das echt gesagt? Reißt der die Brandmauer zur AfD tatsächlich ein?

Länderchefs aus der CDU melden sich, hohe Funktionsträger. „Rechtsradikal bleibt rechtsradikal. Für Christdemokraten sind Rechtsradikale immer der Feind“, schreibt etwa Bundestags-Vizepräsidentin Yvonne Magwas. Das sei „nicht erträglich“, tobt Ex-Ministerpräsident Tobias Hans über Merz. Als der CDU-Vorsitzende Montagmorgen aufwacht, findet er im Internet eine „Stern“-Schlagzeile: „Friedrich Merz entgleitet die Kontrolle über seine Partei“.

Nur – was hat Merz eigentlich genau gesagt? Im ZDF-Sommerinterview im heimischen Sauerland am Sonntagabend war er nach einer Zusammenarbeit mit der AfD gefragt worden. Für die CDU ist das in Land und Bund kategorisch ausgeschlossen. Merz bekräftigt das. Er erklärt aber, Kontakt auf lokaler Ebene sei möglich. Die Wahl eines AfD-Landrats in Thüringen und eines AfD-Bürgermeisters in Sachsen-Anhalt sei demokratische Entscheidungen. „Natürlich muss in den Kommunalparlamenten dann auch nach Wegen gesucht werden, wie man gemeinsam die Stadt, das Land, den Landkreis gestaltet.“

„Gestaltet“, sagt Merz. Nicht: „Zusammenarbeit“. Er ergänzt: Der Ausschluss einer Zusammenarbeit mit der AfD „bezieht sich auf gesetzgebende Körperschaften“. Ist das ein Tabubruch, die Öffnung zur AfD? Oder nur ein Spezialfall für unter anderem das thüringische Sonneberg, wo nun die AfD regiert? Am Morgen versucht Merz, den Sturm aufzuhalten. „Um es noch einmal klarzustellen, und ich habe es nie anders gesagt: Die Beschlusslage der CDU gilt. Es wird auch auf kommunaler Ebene keine Zusammenarbeit der CDU mit der AfD geben“, verbreitet er. Alles andere sei „abwegig“.

Viele in der Union fürchten, hängen bleibe davon nur: Der will mit der AfD. Deren Parteivorsitzender Tino Chrupalla jubelt: „Nun fallen erste Steine aus der schwarz-grünen Brandmauer.“ Selbst international macht das Schlagzeilen. Der britische „Guardian“ berichtet, Merz habe erklärt, er sei bereit, mit der rechtsextremen AfD lokal zusammenzuarbeiten.

Die parteiinterne Kritik geht über bekannte Merz-Gegenspieler, alte Angela-Merkel-Fans und ein paar übliche Twitter-Maulhelden hinaus. Auch Unterstützer gehen auf Distanz. Die Wucht dürfte den Chef überraschen. In der CDU zürnen selbst Wohlwollende, Merz habe die kommunikative Grundregel missachtet, dass man die politische Konkurrenz mit ausführlicher Erwähnung nur größer mache – und sich selbst klein. Schon ein Auftritt von Merz bei der Klausur der CSU-Landesgruppe im Kloster Andechs hatte in den eigenen Reihen für Kopfschütteln gesorgt; auch da ging es um die AfD. Merz nannte die Union die „Alternative für Deutschland mit Substanz“. Die umstehenden CSU-Leute zuckten da sichtlich zusammen.

Aus der CSU kommt nun auch eine sehr scharfe Reaktion. Parteichef Markus Söder, der seit Monaten eigentlich einen Schulterschluss mit Merz probt, äußert sich vor Parteifreunden erbost. „Ein schwerer Fehler“, wird er zitiert, „die Debatten schaden uns enorm“. In einer Sitzung des Parteivorstands gibt es dafür breite Zustimmung. Man grenze sich von der AfD ab, auf jeder Ebene. Die CSU steht im Bayern-Wahlkampf, jeder unabsichtliche Merz-Querschläger wird als brandgefährlich empfunden.

Passend dazu hat die CSU zufällig am Montagmorgen ihr erstes Wahlplakat vorgestellt – ein großes Strauß-Porträt mit dessen Satz: „Wir wollen mit rechtsradikalen Narren und Extremisten nichts zu tun haben.“

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