„Keiner weiß, wie das ausgeht“

von Redaktion

München – Beim Besuch von Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) vergangene Woche in Jerusalem kam es zum Eklat: Eine Mitarbeiterin der für die Klagemauer zuständigen Western Wall Heritage Foundation forderte Abt Nikodemus Schnabel auf, sein Brustkreuz zu verdecken. Wir sprachen mit dem Leiter der Dormitio-Abtei von Jerusalem über diesen Vorfall, aber auch über die politische Lage in Israel.

Die Mitarbeiterin der Klagemauer-Stiftung berief sich auf neue Regelungen für die jüdische Stätte. Gibt es strengere Regeln?

Nein, sie hat gelogen. Ich muss betonen, dass ich mit dem Brustkreuz nicht zur Klagemauer wollte, sondern nur den Vorplatz überquerte, um einen Umweg zu vermeiden. Das ist so, wie wenn ich am Vorplatz vor der Münchner Frauenkirche stehe, und jemand kommt raus und sagt: Hier ist ein heiliger christlicher Ort. Es gibt aber diese Haltung von Radikalen, die sagen, die ganze jüdische Altstadt Jerusalems gehöre allein den Juden. Ich habe diesen Platz auch früher schon häufig ohne Probleme gekreuzt. An dem Vorfall merkt man, dass sich etwas radikal verändert in Israel.

Wie sehr bekommen Sie auf dem Berg Zion, wo die Dormitio-Abtei steht, die aufgeheizte Stimmung der Proteste mit?

Wir sind seit Jahrzehnten dafür bekannt, dass die Dormitio ein offener Ort ist, wo Christen, Juden, Muslime und Agnostiker gleichermaßen eine Oase des Friedens finden können. Leider gehört zur Realität, dass unsere Nachbarschaft in der letzten Zeit immer mehr auch ein Treffpunkt für die Leute wurde, die einen anderen Traum von Jerusalem haben: Jugendliche aus der radikalen Siedlerbewegung versammeln sich jeden Samstagabend auf dem Zion, werfen uns Müll über den Zaun, spucken uns Mönche an und attackieren uns verbal.

Bekommen Sie Hilfe von der Regierung?

Diese rechtsradikalen Siedler und diese Hooligans der Religion gab es schon immer, aber sie hatten keinen Rückhalt im offiziellen Israel. Seit die Parteien der radikalen Siedler und Ultra-Orthodoxen in der Regierung sitzen, spüren diese Extremisten aber Aufwind. Wenn ich jetzt mit meinem Benediktiner-Habit in das jüdische Viertel gehe, werde ich mehrfach angespuckt. Aber zehn Meter weiter werde ich von mir wildfremden Israelis angesprochen, die mich umarmen und sagen: „Es ist so wichtig, dass Sie da sind. Ohne Christen wäre Jerusalem nicht mein Jerusalem. Ich schäme mich für Israel.“ Denen antworte ich: Du musst dich nicht für dieses wunderbare Land schämen, ich weiß doch, dass die Mehrheit der Juden mit diesen Radikalen nichts am Hut hat.

Die Spaltung erlebt Israel auch bei den Protesten. Sehen Sie einen Ausweg?

Ich kann da nur meine jüdischen Freunde zitieren, die sagen: Keiner weiß, wie das ausgeht. Ich kann nur hoffen: Vielleicht schafft diese tiefe Krise einen neuen Gründungsimpuls, damit sich Israel beispielsweise eine Verfassung gibt, die klarstellt, für wen dieser Staat da sein will und wohin er steuern will. Ich werde diesen Staat Israel immer wie ein Löwe verteidigen. Denn die Grundidee dieser Staatsgründung ist es ja, eine Heimstatt für alle Juden weltweit zu schaffen, in der jeder Jude angstfrei leben kann, eine Lebensversicherung gegen den weltweiten Antisemitismus. Von Anfang an gehörte aber auch dazu, dass Israel eine Demokratie ist, in der es auch Platz für die Minderheiten gibt – die Drusen, die Christen, die Muslime usw. Das kippt jetzt gerade, es geht in eine Richtung, die vielen jüdischen und nicht-jüdischen Israelis Angst macht.

Was bedeutet das für das Verhältnis zu den Palästinensern? Hat die Zwei-Staaten-Lösung eine Zukunft?

Ja, die Zwei-Staaten-Lösung ist die einzige Möglichkeit, die große Sehnsucht der Israelis nach Sicherheit und die große Sehnsucht der Palästinenser nach Freiheit unter einen Hut zu bringen. Dann erst kann ein Prozess der Versöhnung und Kooperation beginnen. Leider spricht die derzeitige israelische Regierung in ihrem Koalitionsvertrag dem palästinensischen Volk das Recht auf einen eigenen Staat in der Westbank ab.

2015 gab es einen Brandanschlag auf die Brotvermehrungskirche in Tabgha am See Genezareth. Es gibt diese Extremisten, die alle Christen und Muslime vertreiben möchten, also schon immer, oder?

Das war nie ganz weg, aber jetzt hat sich die Zahl solcher Vorfälle deutlich erhöht: Allein in diesem Jahr gab es so viele Friedhofs- und Kirchenschändungen und Angriffe auf christliche Restaurants, das ist ein Alltagsphänomen geworden. Die Brandstifter wurden 2015 gefasst und vor Gericht in wirklich übelster Art verteidigt von Itamar Ben-Gvir. Und dieser Mann sitzt jetzt als Minister für Nationale Sicherheit in der Regierung. Ich muss ertragen, dass Israel eine Regierung hat, wo der Mensch für meine Sicherheit zuständig ist, der mich im Gerichtssaal massivst beleidigt und angegriffen hat.

Interview: Klaus Rimpel

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