Wie sich die AfD Europa vorstellt

von Redaktion

VON MARCUS MÄCKLER

München – Das Papier war gerade öffentlich geworden, da ruderte die AfD in einem besonders brisanten Punkt zurück. Die Forderung nach „geordneter Auflösung der EU“, die sich weit vorne im 92-seitigen Entwurf zum Europawahlprogramm findet, ging manchen doch zu weit. Von einem „redaktionellen Versehen“ war die Rede – ganz so, als sei da jemand beim Tippen maximal ungünstig auf der Tastatur ausgerutscht.

Auf Wunsch der Parteispitze um Tino Chrupalla und Alice Weidel, die das Programm mitformulierte, soll das Versehen nun korrigiert werden. Ab Freitag versammelt sich die AfD in Magdeburg: erst Parteitag, dann Europawahlversammlung. Zwei Wochenenden lang beraten die Delegierten über die Kandidaten und das Programm für die Europawahl 2024. Ob sie die Forderung nach Auflösung der EU wie gewünscht streichen, ist offen. Klar ist: Hätte die von Umfragen beflügelte, teils rechtsextreme Partei das Sagen, ginge es der EU in ihrer jetzigen Form an den Kragen.

Auch ohne Auflösungs-Fantasien wird das vorläufige Programm recht konkret. Die EU sei undemokratisch und unreformierbar, heißt es. Statt ihrer will die AfD eine „neue europäische Wirtschafts- und Interessengemeinschaft gründen, einen Bund europäischer Nationen“. Dazu soll das EU-Parlament aufgelöst, seine Kompetenzen vorläufig an die Staats- und Regierungschefs übertragen werden. Wieso es demokratischer ist, wenn statt gewählter Abgeordneter der Ministerrat über wichtige Projekte entscheidet, erklärt das Programm nicht.

Die harte Abgrenzung von Brüssel ist im Kern natürlich nicht neu. Zwar sitzt die AfD selbst mit neun Abgeordneten im EU-Parlemant – die EU als „von globalistisch eingestellten Eliten“ getragenes und als übergriffig empfundenes Feindbild zieht trotzdem bei der AfD-Anhängerschaft.

Statt möglichst viel will die Partei in dem imaginierten „Bund europäischer Nationen“ darum auch möglichst wenig gemeinsam regeln. Entscheidungen sollen vor allem die Nationalstaaten selbst treffen. Ein europäisches Asylsystem lehnt die AfD zum Beispiel ab, Europa soll ihrer Vorstellung nach vor allem als „Festung“ zur Abwehr von Migration dienen. Teils werden die Positionen widersprüchlich: So soll es ausdrücklich keine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik geben; zugleich fordert die AfD an anderer Stelle, Europa müsse sich künftig „als eigenständiger sicherheitspolitischer Akteur“ in der Welt verstehen.

Überhaupt dürfte das Verhältnis zu den großen Playern der Welt in Magdeburg zu Diskussionen führen, gerade mit Blick auf Moskau. Im Programm: kein kritisches Wort zu Russlands imperialen Gelüsten, zum Krieg gegen Kiew. Stattdessen die Forderung nach einem Ende der Wirtschaftssanktionen und der Instandsetzung der Nord-Stream-Pipelines. Das Wort Diplomatie fällt pflichtschuldig.

Während auch der Abschnitt zu China klar freundlich formuliert ist (samt Empfehlung, an der umstrittenen Seidenstraße mitzuwirken), würde sich mancher gerne klarer von den USA absetzen. In einem Änderungsantrag, der wohl unter anderem auf den Thüringer Björn Höcke zurückgeht, wird Washington als „eigennütziger Hegemon“ bezeichnet, der die Länder Europas in Konflikte hineinziehe, die „nicht die ihren sind“. Auch die Nato findet kritisch Erwähnung. Das sehen in der AfD längst nicht alle so. Die „FAZ“ schrieb kürzlich süffisant von zwei Lagern: den „Putin-Jüngern“ und den „Nato-Boys“.

Krach darüber ist also möglich. Ansonsten herrscht in der AfD bei vielen Themen Einigkeit: Eine neue Deutsche Mark soll laut Programm den Euro ersetzen; über den Dexit, den deutschen EU-Austritt, sollen die Bürger per Volksentscheid abstimmen; Migration ist unerwünscht – selbst beim Fachkräftemangel setzt die AfD lieber auf Künstliche Intelligenz als Zuwanderung. Mahnungen von Wirtschaftsverbänden bleiben ungehört.

Auch beim Thema Klima besetzt die Partei eine Sonderposition, sie hält das alles für Hysterie. Der menschengemachte Klimawandel wird im Programm als „Hypothese“ bezeichnet, die aktuellen Veränderungen seien völlig normal. Unter dem Punkt „Energie“ fordert das Programm offensiv die „Abschaffung aller Klimaschutzgesetze auf nationaler und europäischer Ebene“. Das lässt an die USA unter Donald Trump denken. Das Europa, wie es sich die AfD vorstellt, ist dem sehr nahe.

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