Die großen Wenden der Geschichte gehen an den Zeitgenossen oft unbemerkt vorüber. Unser Denken ist geprägt von der Vergangenheit. Das hindert Neues in seiner wahren Bedeutung zu erkennen.
Besonders neu war ja schon im Februar 2022, als Putin die Ukraine überfallen hat, nicht, dass der russische Herrscher das alte Sowjetimperium wiederherstellen will. Das wusste man schon lange aus seiner Aussage, die Auflösung der Sowjetunion und das Ende des Warschauer Paktes seien die größten Katastrophen des 20. Jahrhunderts gewesen. Das Neue aber war, endlich erkennen zu müssen, dass Putin auch das Mittel der militärischen Gewalt und die Drohung mit Atomschlägen bedenkenlos einsetzt, um die alte sowjetische Weltordnung zurückzuholen. Die ging bekanntlich bis in das Herz von Berlin. In der Ukraine herrscht ein mörderischer Krieg, der viel mehr ist als eine nationale ukrainische Selbstverteidigung. Das ist noch immer nicht voll in das Bewusstsein des Westens gedrungen.
Die Nato feiert den Beitritt von Finnland und sicherlich bald auch Schweden. Sie predigt die Bestandsgarantie. Kein Zentimeter Nato-Boden darf verletzt werden. Das wäre ein Angriff auf alle. Der Ukraine aber wagt man keine klaren Zusagen zu machen, obwohl sie sich längst auch für uns im Krieg um die Bewahrung der Freiheit in Europa befindet. Erst wenn dort Frieden eingekehrt ist, dann soll über einen Nato-Beitritt des von Russland überfallenen Landes gesprochen werden. Vor allem die USA und in deren Schlepptau Deutschland wollen das so.
Die Länder, die näher an Russland liegen und es daher besser kennen, Polen und die Baltischen Staaten, hätten es gerne anders gesehen.
Putin weiß nun, dass nach einem Ende des Krieges, den er vom Zaune gebrochen hat, ein Beitritt der Ukraine in die Nato auf der Tagesordnung steht. Das ist das, was er am wenigsten will. So wird er mehr denn je ein Kriegsende mit allen seinen Kräften zu verhindern suchen. Der Krieg wird weiter angeheizt statt gedämpft.
Und weil die Nato sich auf dem letzten Gipfel so schwankend gezeigt hat, dehnen Putin und sein Freund Lukaschenko in Weißrussland ihre Drohungen jetzt auf Nato-Länder wie Polen und die baltischen Staaten aus. In Weißrussland formieren sich die Wagner-Söldner neu wohl kaum mit friedlichen Absichten. Putin erinnert Polen schon mal dezent daran, dass Stalin 1945 Polen neue Größe geschenkt habe. Er möchte wohl Polen bestrafen, das nicht genug Dankbarkeit zeigt.
Die Ukrainer wären das stärkste europäische Nato- Land, weil sie bereit sind, ihr Leben hinzugeben für die Freiheit von russischer Zwangsherrschaft. Bei der deutschen Bundeswehr gehen die Bewerbungen für den Soldaten-Beruf gerade jetzt immer mehr zurück. Wir nehmen den Krieg, in dem es um Europa geht, mehr in Worten statt in Taten wahr. Von der Gefahr, über China und Taiwan zum Weltkrieg zu werden, möchten wir nicht einmal sprechen. Der Rest ist Schweigen.
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