München – Als Konzertpianist, der er fast geworden wäre, hat Peter Ramsauer ein großes Gespür für leise Töne. Als CSU-Politiker, der er geworden ist und blieb, haut er lauter in die Tasten. Jetzt wieder: Mit einem einzigen Interview bringt der 69-jährige Traunsteiner die halbe Republik in Wallung. Fortissimo – und in einer Passage schrill.
In einem Magazin für einen nordrhein-westfälischen Verband von Selbstständigen ist dem Ex-Minister, heute einfacher Abgeordneter, eine Formulierung grob verrutscht. Der frühere chinesische Machthaber Deng Xiaoping habe einmal gesagt: „Wenn man die Fenster zu weit aufmacht, kommt auch viel Ungeziefer mit rein.“ Ramsauer zitiert das mit Blick auf die Fachkräftezuwanderung. Ein Vergleich von Migranten mit „Ungeziefer“? Der CSU-Politiker hat nach einem schnellen Aufregungssturm am Montag – Internet, politische Gegner, aber auch manche aus der CDU – dieses Zitat zurückgezogen; in der aktuellen Online-Fassung des Gesprächs ist es nicht mehr enthalten.
Auch sonst ist im Gespräch des Ex-Ministers genug Kontroverses drin – vieles auch, was einige Parteifreunde denken, aber nicht aussprechen. Ramsauer steht in keiner Kabinettsdisziplin mehr, will in Berlin nichts mehr werden. Er rechnet nun beinhart mit Ex-Kanzlerin Angela Merkel ab. Zur Erinnerung: Sein Parteivorsitzender Markus Söder hatte Merkel jüngst den obersten bayerischen Orden umgehängt. Ramsauer gehört zu jenen in der CSU, die damit unglücklich sind: „Der Atomenergieausstieg gehört wie die Flüchtlingspolitik zu den katastrophalsten politischen Fehlern der damaligen Bundeskanzlerin“, sagt er. Und: Die AfD habe ihre „parlamentarische Existenz ausschließlich der Politik von Angela Merkel zu verdanken“. Diese Partei müsse ihr eigentlich Denkmäler setzen.
Beim Asylrecht wird er auch ohne die „Ungeziefer“-Passage deutlich. „Die Zahl der Asylbewerber, der Bürgerkriegsflüchtlinge und der Wirtschaftsflüchtlinge hat inzwischen ein Maß erreicht, das alles sprengt.“ Die Bevölkerung sei nicht mehr bereit, das hinzunehmen, zitiert er Kommunalpolitiker. Und der nächste Gruß in die Uckermark: „Diese unselige Entwicklung in Deutschland haben wir ausschließlich Angela Merkel zu verdanken.“
Ramsauer ist nicht der Einzige in der CSU, der das denkt. Sein eigener Landrat Siegfried Walch (39) zum Beispiel ist seit Monaten in Berlin und München mit lauten Warnungen vor einer Überforderung unterwegs. Parteiräson war bisher aber, auf milde Wortwahl zu achten.
Ramsauer fordert nun, die Zuwanderung direkt an der EU-Außengrenze zu stoppen und weniger Geld an Asylbewerber auszuzahlen. Sozialleistungen für diese Gruppe hätten eine „verheerende Anziehungskraft“. Er habe vollstes Verständnis für Ungarns Ministerpräsidenten Orbán, aber auch für die Polen, „die eigenständig entscheiden wollen, wer in ihr Land kommen darf“. Zudem müsse man aufpassen, „weil nicht jede sogenannte Fachkraft auch eine solche ist“. Das Interview liest sich, als habe er all das dringend loswerden wollen – wurde aber lang nicht gefragt. Die Freude bei Söder dürfte gering sein.
An die Union hat er nach 33 Jahren im Bundestag den Tipp, Klartext zu reden. „Leider haben wir in der Union vielfach Angst davor, etwas zu sagen, was von der linken Seite als unsagbar definiert wird. Deshalb müssen wir viel deutlicher werden und dürfen keine Angst davor haben, in die rechte Ecke gestellt zu werden.“ Als Politiker, der das „ganz geschickt“ macht, nennt er den Freie-Wähler-Chef – „Aiwanger macht den neuen Franz Josef Strauß“. CHRISTIAN DEUTSCHLÄNDER