„Die Brandmauer der Union steht noch“

von Redaktion

Politologe erklärt, warum die AfD Zuwachs bekommt und welche Strategie Ministerpräsident Söder fährt

München – Die Union ringt um ihre Strategie im Umgang mit der AfD. Alles ablehnen, eine unüberwindbare Brandmauer auch auf kommunaler Ebene? Der Passauer Politologe Heinrich Oberreuter (80) rät, bei tagespolitischen Entscheidungsfragen mit der AfD zu streiten, bei Grundsatzfragen sie zu attackieren. Er war von 1993 bis 2011 Direktor der Akademie für Politische Bildung in Tutzing.

Herr Oberreuter, steht die Brandmauer der Union gegen die AfD noch?

Natürlich steht sie noch.

Wie sollte die Union jetzt mit der AfD umgehen – wegschweigen oder angreifen?

Es ist eine gewisse kommunikative Disziplin notwendig. Dort, wo es notwendig ist – in Grundsatzfragen – ganz klar attackieren. Die AfD vertritt Positionen, über die man gar nicht schweigen darf. Aber wo es um tagespolitische Entscheidungen und Orientierungen geht, muss man den Diskurs führen. Indem man nur die Radikalität der AfD beschwört, gibt man ihr eine Opferrolle.

Wie kann sich Söder im Bayern-Wahlkampf von der AfD abgrenzen, ohne ihre Wähler zu vergraulen?

Markus Söder fährt eine interessante Strategie: Er erklärt die Grünen zum Hauptgegner. Damit signalisiert er: „Ihr müsst nicht zur AfD wandern – ich bin auch eine Alternative zu den Grünen.“ Aber in Bayern lebt ein stärkeres AfD-Potenzial etwa im südlichen Oberbayern oder in Niederbayern. In diesen Gebieten erinnern sich die Menschen noch gut an die Flüchtlingsströme von 2015. Und die Migrations-Frage hat uns heute auch mit ihren Folgen nicht verlassen.

Sind die Wähler der AfD Extreme? Extremisten oder Frustrierte?

Viele, die gerade jetzt zur AfD wandern, haben sich nicht radikalisiert, sondern sind frustriert. Weil die etablierten Parteien nicht mehr in der Lage sind, irgendeinen Ansatz von Orientierung und Sicherheit in den aktuellen Ungewissheiten zu bieten. Gleichwohl gibt es unter den Wählern der AfD eine Menge Extremisten.

Dass Merz für seine Aussagen zur AfD von Parteifreunden öffentlich so stark attackiert wurde – Symptom für tiefer sitzende Konflikte in der Union?

Ja. Übersetzt hat Friedrich Merz nur gesagt, es könne nicht sein, dass die AfD Verbotsschilder aufstellt für etwas, das die Union für richtig hält. Doch viele, die sich da gegen Merz gestellt haben, haben das nicht nur wegen der öffentlichen Stimmung gegen ihn gemacht. Da schwingt die Idee eines besseren Kanzlerkandidaten für die Union mit.

Und gibt es einen besseren?

Neue Umfragen zeigen: Markus Söder wird bundesweit unter den Unionsanhängern für den besten Kandidaten gehalten. Die Geschichte lehrt mich: Wenn die CDU einmal in einer bescheidenen Situation ist, dann hat ein Bayer gute Chancen, Kanzlerkandidat zu werden. Und wenn diese Chance auf Söder zukommt, wird er vergessen, dass er je gesagt hat, er werde immer in Bayern bleiben.

Peter Ramsauer sagt: An der AfD ist nur Merkel schuld. Ist da was dran?

Diese Zuspitzung ist verfehlt. Angela Merkel hat nicht allein gehandelt, sondern sie ist unterstützt worden – auch von CSU-Bundesministern.

Ist es klug, wenn Söder Merkel den Verdienstorden umhängt?

Dass sich Angela Merkel die ein oder andere Fehlentscheidung geleistet hat, heißt nicht, dass ihre ganze Regierungszeit nicht anerkennungswürdig ist. Interview: L. Hudelmaier

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