München – Das hat die Ampel Anfang Juli kalt erwischt. Während die SPD gerade ihr Sommerfest feiert, wird die Entscheidung aus Karlsruhe bekannt. Das Bundesverfassungsgericht hat das neue Heizungsgesetz gestoppt, weil in den Beratungen Abgeordnetenrechte verletzt wurden. Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt (SPD) soll sich auf den Schock erst mal ein Eis geholt haben.
Es ist der zuletzt aufsehenerregendste, aber beileibe nicht einzige Fall, in dem Karlsruhe sich in die Politik einmischt. Nur einige Beispiele: Dass alle Eigentümer eine Grundsteuererklärung abgeben mussten, resultiert aus einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Dass die Politik nach einer Neuregelung bei der Sterbehilfe sucht, ebenso. Die Unionsfraktion klagt gegen das neue Wahlrecht, und Bayern stellt die aktuellen Regelungen bei Erbschaftssteuer und Finanzausgleich infrage. Sitzt also in Karlsruhe etwa ein verlängerter Arm der Opposition oder gar ein Ersatz-Gesetzgeber?
„Gerade in Zeiten höherer politischer Polarisierung hat das Bundesverfassungsgericht immer eine wichtige Rolle gespielt“, sagt der Dresdner Politikwissenschaftler Hans Vorländer. So sei es auch heute. Historisch gesehen habe sich aber auch gezeigt, dass das Gericht nach politischeren Phasen immer wieder zu mehr Zurückhaltung zurückgekehrt sei „um seine unabhängige Position nicht zu gefährden“.
Neu ist die „politische Schiedsrichterrolle“ also nicht. Besonders ausgeprägt sei sie etwa in den 70er-Jahren gewesen, als es zum Beispiel um das Abtreibungsrecht oder die Wehrdienstnovelle ging. „Damals wurde das Verfassungsgericht von der CDU/CSU-Opposition fast bei jedem größeren Reformvorhaben angerufen“, sagt Vorländer. In der von Herbert Wehner geführten SPD-Fraktion soll seinerzeit sogar der Satz gefallen sein, man lasse sich „von den acht Arschlöchern in Karlsruhe“ nicht die eigene Politik kaputtmachen. Dabei besteht das Bundesverfassungsgericht eigentlich sogar aus 16 Personen – nämlich aus zwei Senaten, denen jeweils acht Richterinnen und Richter angehören.
Und heute? Mit Blick auf das im Hauruck-Verfahren vorangetriebene Heizgesetz hält Vorländer den Wunsch der Opposition nach einer Normenkontrolle durch das Gericht für durchaus nachvollziehbar. Eine deutlicher erkennbare politische Absicht sieht er hingegen bei der bayerischen Klage gegen den Länderfinanzausgleich. Im Landtags-Wahlkampf nutze CSU-Chef und Ministerpräsident Markus Söder die Beschwerde als Forum, „um einerseits die enorme finanzielle Potenz des Freistaats herauszustellen und sich andererseits als Sachwalter bayerischer Interessen in Szene zu setzen“. Das bedeute allerdings nicht, dass die bayerische Klage keine Aussicht auf Erfolg habe. „Es ist nicht auszuschließen, dass das Gericht die Länder zur Neujustierung des Finanzausgleichs auffordert“, sagt Vorländer.
Doch das Verfassungsgericht drückt nicht nur der deutschen Politik seinen Stempel auf, es wird selbst auch von Politikern geprägt. Der aktuelle Präsident Stephan Harbarth saß vor seinem Wechsel nach Karlsruhe fast ein Jahrzehnt für die CDU im Bundestag – zuletzt sogar als Fraktionsvize. Und Richter Peter Müller war von 1999 bis 2011 der CDU-Ministerpräsident des Saarlands. Ein Befangenheits-Problem habe sich aus solchen Wechseln von Legislative und Exekutive in die Judikative in der Vergangenheit aber kaum ergeben, findet Vorländer. „Indem sie die Richterrobe anlegen, entkleiden sich die meisten selbst ihres Politikerdaseins.“ Auch Müller und Harbarth hätten dieses neue Rollenverständnis sehr schnell angenommen und sich bewusst zurückhaltender gegeben. Daran hätten sie auch gutgetan. Denn: „Wenn einzelne Verfassungsrichter ihre Rolle überziehen, gerät das gesamte Gericht unter Druck.“
Und auch vor ihrer Zeit als Bundesverfassungsrichter dürften sich die Kandidaten in ihren Positionen nicht zu stark festgelegt haben. Vorländer erinnert in diesem Zusammenhang an die meinungsstarke SPD-Politikerin Herta Däubler-Gmelin, die noch vor ihrer Zeit als Bundesjustizministerin in den 90ern gerne Vizepräsidentin des Bundesverfassungsgerichts geworden wäre. Sie scheiterte letztlich am Widerstand von CDU und CSU, die ihr nicht zutrauten, ihre persönlichen Ansichten außen vorzulassen.
Zwei Ex-Politiker sind nun Richter