Der „Geruch eines großen Krieges“

von Redaktion

VON KLAUS RIMPEL

München – Konzentriert blickt Sergej Schoigu auf ausgebreitete Militärpläne. Ein Soldat bringt mithilfe eines Zeigestocks den russischen Verteidigungsminister auf den neusten Stand. Die Bilder sollen laut Kreml im ostukrainischen Lyman entstanden sein – bei einem Frontbesuch. Schoigu, selbst in Uniform, steigt dabei auch auf einen schwedischen CV90-Panzer – eines der Fahrzeuge, die während der Kämpfe erbeutet wurden“, teilte die Armee weiter mit. Es sind Aufnahmen, die wieder einmal die Stärke der russischen Armee demonstrieren sollen.

Denn Wladimir Putin will den Krieg gegen die Ukraine massiv ausweiten. Hoffnungen, dass der nach dem Putschversuch innenpolitisch geschwächte Kreml-Chef eher zu einer Verhandlungslösung bereit sein könnte, haben sich angesichts der jüngsten Schritte in Moskau als Illusion erwiesen.

Mit einer Gesetzesänderung hat das russische Parlament jetzt eine weitergehende Mobilisierung ermöglicht: Ab 2024 dürfen alle Erwachsenen bis zu einem Alter von 30 eingezogen werden – bisher lag die Höchst-Altersgrenze bei 27. Wer eingezogen wurde, darf das Land nicht mehr verlassen – so soll eine Massenflucht junger Männer wie am Anfang des Krieges verhindert werden.

Laut dem Vize-Chef des russischen Sicherheitsrates Dmitri Medwedew haben seit Januar mehr als 231 000 Russen ihre Dienste im Krieg gegen die Ukraine angeboten und einen Vertrag mit dem Verteidigungsministerium unterschrieben. Es sei einiges getan worden, um den Militärdienst attraktiver zu machen, sagte der frühere Kreml-Chef. Die von Medwedew unter Berufung auf Militärangaben genannte Zahl ist damit etwa doppelt so hoch wie die vom Mai, als er von 117 000 Freiwilligen und Zeitsoldaten gesprochen hatte.

Nach Darstellung Medwedews sind in den vergangenen Monaten zahlreiche organisatorische, wirtschaftliche und soziale Schritte eingeleitet worden, um mehr Freiwillige anzuziehen.

Der „Geruch eines großen Krieges“ liege in der Luft, kommentierte der Leiter des russischen Verteidigungsausschusses, Andrej Kartapolow, diese Mobilisierungs-Anstrengungen. Eine Einschätzung, die auch Experten im Westen teilen: Alexander Gabuev, der Leiter des Berliner Carnegie Russia Eurasia Centers, schrieb in der „Financial Times“: „Das Gesetz, das dem Kreml ermöglicht, hunderttausende zusätzliche Soldaten in die Schlacht zu schicken, zeigt die traurige Wahrheit: Wladimir Putin bereitet sich auf einen noch größeren Krieg vor und ist weit davon entfernt, einen Ausweg aus seinen desaströsen Krieg in der Ukraine zu suchen.“

Putin setzt dabei nicht nur auf mehr Soldaten, sondern auch darauf, die wirtschaftliche Basis der Ukraine zu zerstören: Deshalb hat Moskau das Getreide-Abkommen aufgekündigt und bombardiert Häfen und Getreidelager. „Dieselbe Logik steht hinter den russischen Luftangriffen auf zivile Infrastruktur: So sollen ukrainische Städte unbewohnbar werden und Wiederaufbau-Anstrengungen zunichte gemacht werden“, so die Analyse des Carnegie-Experten.

Putin spekuliere darauf, dass der Westen kriegsmüde wird und in seiner Unterstützung nachlässt. Denn ohne westliche Hilfe habe die Ukraine langfristig kaum eine Chance, im Abnutzungskrieg gegen Russland zu bestehen. „Solange Putin an der Macht ist, wird Moskau seine immer noch immensen Ressourcen für seine Obsession verwenden, die Ukraine zu zerstören und zu unterwerfen“, so Gabuev. Darauf sollten sich die westlichen Unterstützer langfristig einstellen.

Trotzdem gelingen der Ukraine immer wieder Gegenschläge. Bei einem ukrainischen Seedrohnenangriff auf den russischen Schwarzmeerhafen von Noworossijsk ist laut Kiew ein Landungsschiff am Freitag schwer beschädigt worden.  (mit dpa)

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