München – Die Laudatio, die Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl seinem Chef zum 75. hielt, war geradezu liebevoll. „Du wirst noch gebraucht“, sagte er zu Winfried Kretschmann. „Wir brauchen dich noch. Das Land braucht dich noch.“ Das war im Mai und es klang ein wenig nach Ewigkeitsversprechen, nach Winfried forever.
Das wird nicht passieren: Kretschmann, der seit 2011 als erster grüner Ministerpräsident überhaupt regiert, will im Frühjahr 2026 nicht mehr antreten. Wie dann die Chancen seiner Partei auf Machterhalt stehen, gehört zu den lästigen, aber dringlicher werdenden Fragen. Für seine Nachfolge gibt es eigentlich nur einen ernsthaften Kandidaten: Cem Özdemir. Wenn er denn wolle, heißt es bei den Grünen, dann werde sich niemand querstellen.
Özdemir selbst lässt die Frage danach hyperroutiniert an sich abprallen. Er sei gern Bundeslandwirtschaftsminister, sagt er dann, als schlösse das eine das andere aus. Man darf jedenfalls davon ausgehen, dass der 57-Jährige von einer neuen Umfrage Notiz genommen hat, die das Institut Allensbach durchgeführt hat. Für Özdemir stecken darin Licht und Schatten.
23 Prozent der befragten Baden-Württemberger halten den Bundesminister für den Favoriten, wenn es um die Kretschmann-Nachfolge geht. Mit großem Abstand folgt CDU-Mann Thomas Strobl mit neun Prozent; die parteiinterne Konkurrenz – Finanzminister Danyal Bayaz und Fraktionschef Andreas Schwarz – kommt nur auf Promillewerte. Ohne Personenvorschlag nach einem Kretschmann-Erben gefragt, antworteten aber erschlagende 92 Prozent, sie wüssten da niemanden. Von den übrigen acht Prozent nennt die Hälfte Özdemir.
Gemessen an der Bekanntheit, die der Schwabe im Ländle hat, ist das nicht gerade berauschend. Erschwerend hinzu kommt, dass die Bürger auch der grün geführten Regierung ein schlechtes Zeugnis ausstellen. Nur 24 Prozent sind zufrieden, 37 Prozent hadern. Bei wichtigen Themen – Lehrermangel, Bürokratie, Schuldenabbau – passiere zu wenig, meinen sie. SPD-Parteichef Andreas Stoch stichelte schon, es regiere eine „Koalition des Stillstands“.
Bis zum Wahltermin kann sich noch viel tun und viele Grüne meinen, die Nachfolge-Frage stelle sich jetzt nicht. Allen voran übrigens Kretschmann, der immer wieder betont, er sei für fünf Jahre gewählt und wolle das auch durchziehen – sofern es Gesundheit und Herrgott erlaubten. Es gibt aber auch Stimmen, die es für richtig hielten, der Regierungschef würde frühzeitig zurücktreten und an einen Nachfolger übergeben. Der könne sich dann bis zur Wahl profilieren. Natürlich ist Özdemir gemeint.
Das Szenario ist denkbar, aber unwahrscheinlich. Eher dürfte es so laufen, dass Ende 2024 ein Nachfolgekandidat feststeht – nach der Europa-, vor der Bundestagswahl. Özdemir, der wie Kretschmann als Oberrealo gilt, kann bis dahin im Berliner Ministerium weiter Regierungserfahrung sammeln. Dann dürfte er im Übrigen auch klarer sehen, ob es auf Bundesebene eine Zukunft gibt. Möglich, dass die Ampel 2025 ausgedient hat. In dem Fall dürfte Stuttgart für Özdemir noch verlockender sein. mmä/dpa