Frankfurt-Oder/München – An einem Abend Ende Juli stoppt die Polizei einen Ford Transit mit neun Menschen aus Afghanistan und vier aus Iran. Am nächsten Morgen sind es syrische Staatsangehörige auf der Ladefläche eines Fiat Ducato, darunter acht Kinder. Am Tag darauf entdecken Polizisten in einem polnischen Auto bei Frankfurt an der Oder einen Syrer und drei Somalier. Und so geht es immer weiter.
Die Menschen haben in der Regel nicht die nötigen Visa, Aufenthaltsrechte oder Ausweispapiere, deshalb gilt ihre Einreise als unerlaubt. Doch wenn sie in Deutschland Schutz beantragen wollen, kommen sie nicht etwa in Haft, sondern in eine Erstaufnahme. In Brandenburg ist dies das zentrale Ankunftszentrum in Eisenhüttenstadt, das noch vier weitere Standorte betreibt. Bei jedem Zweiten, der hier ankommt, könne man schwarz auf weiß die Route verfolgen, weil sie Einreisestempel oder Visa aus Russland hätten, sagt Leiter Olaf Jansen. Von dort gehe es weiter über Belarus in die EU. „Das ist im Prinzip eine Schleuserroute, die gebucht wird“, sagt Jansen.
Schon seit Wochen gibt es immer mehr Hinweise, dass Russland und Belarus offenbar eine Flüchtlingsroute wiederbeleben, über die sie schon 2021 viele Migranten in die EU geleitet haben. Die Bundespolizei hatte im ersten Halbjahr an der Grenze zwischen Deutschland und Polen 12 331 unerlaubte Einreisen registriert. Im Vorjahreszeitraum waren es noch 4592 gewesen.
Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) geht deshalb von einem weiteren Anstieg unerlaubter Einreisen an der deutsch-polnischen Grenze aus. „Die Prognose für die nächsten Monate sieht düster aus, denn Russland wird seine Schleuseraktivitäten noch intensivieren“, sagt Stübgen dem „Tagesspiegel“. Auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) sieht Hinweise auf eine Neubelebung der Belarus-Route. Der Vorsitzende des Bereichs Bundespolizei und Zoll bei der GdP, Andreas Roßkopf, geht davon aus, „dass gerade Belarus wieder daran beteiligt ist“, wenn derzeit an der polnisch-deutschen Grenze die Zahlen unerlaubter Einreisen erneut stiegen.
Stübgen appelliert deshalb an Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), auch im Osten Grenzkontrollen einzuführen, wie sie seit Herbst 2015 in Bayern an der Grenze zu Österreich stattfinden. „In Bayern lässt Nancy Faeser die Grenze kontrollieren und illegale Flüchtlinge zurückschicken“, sagt Stübgen. „Worauf sie an der Grenze zu Polen noch warten will, weiß ich nicht.“
Faeser lehnt feste Kontrollen für Polen bisher ab und hat verdachts- und anlassunabhängige Personenkontrollen verstärkt. Man beobachte die Entwicklung an den Grenzen weiterhin sorgfältig, heißt es aus ihrem Haus. Eine vorübergehende Wiedereinführung von Binnengrenzkontrollen im Schengen-Raum sei aber „ultima ratio“, also nur das zuletzt geeignete Mittel. Alle Möglichkeiten der innerstaatlichen und grenzüberschreitenden Zusammenarbeit sollten weiter ausgebaut werden, wie mit Tschechien und Polen geschehen.
Unterdessen wächst auch in Faesers eigener Partei die Sorge. „Gezielte Schleusungen aus Russland und Belarus über die Grenze nach Polen in die Europäische Union“ müssten verhindert werden, sagt SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese dem „Tagesspiegel“. Wie genau, lässt er allerdings offen. Gleichzeitig greift Wiese die AfD scharf an: „Wie perfide muss man als AfD sein: Hier die Flüchtlinge angreifen und gleichzeitig Putin stützen.“
Klar gegen Grenzkontrollen spricht sich hingegen an gleicher Stelle der Grünen-Innenpolitiker Marcel Emmerich aus. „Wir sehen bereits seit Jahren in Bayern, dass Binnengrenzkontrollen keine Probleme lösen, sondern massiv der Freizügigkeit, Wirtschaft und den Menschen vor Ort schaden.“