Ärger zwischen Polen und Ukraine

von Redaktion

VON FRIEDEMANN KOHLER UND ANDREAS STEIN

Warschau/Kiew – Für die Ukraine ist in ihrem Abwehrkampf gegen Russland kein Nachbar so wichtig wie Polen. Und Polen hilft: Kein Land hat so viele Flüchtlinge aufgenommen, es schickt eigene Waffen, ist Drehscheibe der internationalen Rüstungshilfe für die Ukraine.

Doch nach fast anderthalb Jahren Krieg häufen sich Misstöne zwischen den Hauptstädten. Kiew und Warschau bestellten jeweils den Botschafter des anderen Landes ein, um ihnen im Außenministerium die Meinung zu sagen. Anlass für das unter Freunden unübliche Vorgehen: Marcin Przydacz, außenpolitischer Berater des polnischen Präsidenten Andrzej Duda, hatte der Ukraine Undankbarkeit vorgeworfen.

Doch die Konflikte haben sich über längere Zeit angebahnt, sodass die polnische Wochenzeitschrift „Do rzeczy“ schon mit „Zerbrechende Freundschaft“ titelte. Auf der strategisch wichtigen Achse lasten Streit über ukrainische Getreideexporte, der polnische Wahlkampf, blanke Nerven in Kiew und eine ungeklärte blutige Vergangenheit. Noch im April, auf dem Höhepunkt der Annäherung, lobte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in Warschau die Brüderschaft beider Völker. „Russland wird niemals siegen, wenn ein Pole und ein Ukrainer Schulter an Schulter stehen“, sagte er bei einer Rede vor dem alten Königsschloss. Polen machte in jenen Tagen die Lieferung von Kampfjets des sowjetischen Typs MiG-29 an die Ukraine publik. Doch schon damals hatten polnische Bauern protestiert, weil Getreide aus der Ukraine ihr Land nicht nur im Transit passierte, sondern auch verkauft wurde. Die Preise verfielen. Polen und die anderen östlichen EU-Mitglieder Slowakei, Ungarn, Rumänien und Bulgarien sperrten ihre Märkte in Abstimmung mit Brüssel bis 15. September für ukrainische Agrarprodukte. Polen will die Sperre verlängern. Für die nationalkonservative Regierungspartei PiS sind die Bauern wichtige Wähler in der Parlamentswahl, die vermutlich im Oktober stattfindet.

Aus Kiew warf Ministerpräsident Denys Schmyhal seinem Warschauer Kollegen Mateusz Morawiecki deshalb eine populistische Politik vor. Die für Wirtschaft zuständige Vize-Regierungschefin Julia Swyrydenko dachte laut über „spiegelbildliche Maßnahmen“ nach. Gegen solche Äußerungen wehrte sich der polnische Präsidentenberater Przydacz. „Die Ukraine hat große Unterstützung von Polen bekommen“, sagte er. Die Ukraine solle anfangen wertzuschätzen, welche Rolle Polen für sie gespielt habe. Pikiert bestellte das ukrainische Außenministerium den polnischen Botschafter Bartosz Cichocki ein. Auch Selenskyjs Vize-Stabschef Andrij Syhiba reagierte emotional. „Es gibt nichts Schlimmeres, als wenn dein Retter von dir eine Rettungsgebühr verlangt, sogar wenn du am Verbluten bist“, schrieb er.

Viel Dankbarkeit in Taten kann die wirtschaftlich geschwächte Ukraine nicht zeigen. Selenskyj hob die Frage deshalb auf eine strategische Ebene: Andere Völker sollten dankbar sein, dass die Ukraine sie vor Russland rette. Das Verhältnis zwischen Polen und Ukrainern hat in diesem Krieg auch deswegen pragmatisch funktioniert, weil sie Kapitel ihrer oft blutigen Geschichte ausklammern. Als Zeichen der Versöhnung gedachten Selenskyj und Duda im Juli in der nordukrainischen Stadt Luzk gemeinsam der Opfer der ethnischen Säuberungen 1943. In der Landschaft Wolhynien ermordete die ukrainische Untergrundarmee UPA damals Zehntausende Polen. Die deutsche Besatzung sah zu. Die Freischärler gelten in der Ukraine bis heute als Helden.

In Polen ließ der PiS-Vorsitzende Kaczynski das Versöhnungszeichen der Präsidenten nicht gelten. Der starke Mann der polnischen Politik setzt im Wahlkampf auf historische Themen, sieht Polen von Feinden umgeben. Andere PiS-Vertreter schlugen friedliche Töne an. Polen werde nichts tun, was ihm selbst schadet, so der Außenpolitiker Fogiel: „Wir werden der Ukraine helfen, weil es in unserem Interesse liegt.“

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