Berlin – Sahra Wagenknecht und die Linke – diese komplizierte Geschichte steuert auf ihr Finale zu. Ob, wann und wie die frühere Bundestagsfraktionschefin eine eigene Partei gründet, hat sie zwar immer noch nicht gesagt. Aber die Trennung von der Linken ist so gut wie vollzogen. In der Partei sortieren sich die Fronten. Am Sonntagabend kündigte ihre Vertraute und Nachfolgerin an der Fraktionsspitze, Amira Mohamed Ali, ihren Rückzug vom Amt an. Explizit wegen des Bruchs der Parteispitze mit Wagenknecht.
Wagenknecht liegt mit der 2022 gewählten Linken-Spitze um Janine Wissler und Martin Schirdewan über Kreuz – wie auch schon mit früheren Parteivorsitzenden. Seit sie öffentlich mit der Gründung einer eigenen Partei liebäugelt, spitzt sich der Konflikt zu. „Die Zukunft der Linken ist eine Zukunft ohne Sahra Wagenknecht“, beschloss der Parteivorstand und forderte Wagenknecht zur Rückgabe ihres Mandats auf. Sie lehnte das ab, faktisch änderte sich nichts.
Bekannt ist, dass Wagenknechts Anhänger hinter den Kulissen die Chancen einer neuen Partei ausloten und Vorbereitungen treffen. Einhellig heißt es jedoch, die Entscheidung liege allein bei ihr, und sie sei noch nicht gefallen. Unklar ist zum Beispiel, wer die Partei bundesweit organisieren und wer sie finanzieren würde.
Wagenknecht glänzt mit rhetorischem Talent und Charisma. Teil ihrer Anziehungskraft ist, dass sie inhaltlich gegen den Strich bürstet. Die 54-Jährige wirft ihrer Parteispitze vor, klassische linke Themen zu vernachlässigen: die Nöte der sogenannten kleinen Leute. In ihrem Buch „Die Selbstgerechten“ ging sie mit urbanen sogenannten Lifestyle-Linken ins Gericht.
Sozial- und wirtschaftspolitisch vertritt sie „linke“ Positionen für einen starken Sozialstaat und die Besteuerung von Konzernen und Wohlhabenden. Anders als die Mehrheit der Linken ist sie jedoch für die Begrenzung von Migration und Flüchtlingsaufnahme. Sie ist gegen allzu strikten Klimaschutz, wenn er für Bürger Kosten erhöht, etwa beim Autofahren oder Heizen. Trotz Ukraine-Kriegs ist sie für weitere Importe billiger russischer fossiler Energie, vor allem Gas. Ihre Thesen vertritt sie pointiert auf einem eigenen Youtube-Kanal und in Talkshows.
Zu Wagenknechts engen Vertrauten in der Bundestagsfraktion zählen die Abgeordneten Klaus Ernst, Alexander Ulrich, Sevim Dagdelen und Christian Leye. Mohamed Ali zeigte nun ebenfalls deutlich, wo sie steht, ebenso die Abgeordnete Jessica Tatti. Gingen sie mit in eine neue Partei und raus aus der Fraktion, würde diese ihren Status im Bundestag verlieren und damit auch Geld und Posten.
Schon Ende 2022 fragte Institut Civey rund 5000 Menschen: „Könnten Sie sich grundsätzlich vorstellen, eine von Sahra Wagenknecht gegründete neue Partei zu wählen?“ 30 Prozent der Befragten sagte ja oder eher ja, in Ostdeutschland sogar 49 Prozent. Für Thüringen (Wahl 2024) gibt es nach Insa-Daten sogar das Szenario, dass eine Wagenknecht-Partei aus dem Stand auf 25 Prozent und Platz eins käme; die AfD unter Björn Höcke würde dann von 32 auf 22 Prozent rutschen. Der amtierende Linke-Ministerpräsident Bodo Ramelow läge bei 18 Prozent auf Platz drei. Erst hinter diesen drei Parteien kämmen CDU (16) und SPD (9) – das Land wäre wohl faktisch unregierbar.
Wie aussagekräftig solche Werte sind, ist unklar, solange es die Partei nicht gibt, kein Programm und kein Personal – außer Sahra Wagenknecht.