Jugendwort des Jahres

Auf fremdem Terrain

von Redaktion

VON MARC BEYER

Die Jüngeren unter uns werden sich daran erinnern, dass das Jugendwort des Jahres 2021 „cringe“ lautet und jenes peinliche Gefühl des Fremdschämens bezeichnet, das fast schon körperliche Schmerzen bereitet. Alle anderen könnten versucht sein, sich zu fragen, wovon überhaupt die Rede ist. Das ist nur scheinbar ein Widerspruch. In Wahrheit zeigt sich hier die ganze Einzigartigkeit der Jugendsprache, deren zehn vorgeblich prominenteste Vertreter für 2023 gestern vorgestellt wurden.

Jede 14-Jährige kann bestätigen, dass Vokabeln wie „Auf Lock“, „Rizz“ oder „Side Eye“ alltägliches Deutsch sind. Jugendsprache mag nicht immer geschliffen daherkommen, ist aber präzise und auf ihre Weise elitär. Sie schließt all jene aus, die eine Grenze überschritten haben. Viel älter als 25 sollte man nicht sein, um mitzureden. Wer es doch tut, der betritt ein Terrain, auf dem er nichts mehr zu suchen hat.

Die Schwäche dieser Wahl liegt dann auch darin, dass sie von einem Verlag für Wörterbücher durchgeführt wird, einer Branche also, die nicht übermäßig jugendlich ist. Der Verdacht, hier wolle sich jemand ein flotteres Image zulegen, liegt nahe. Und er trifft wohl auch zu, denn ganz zufällig findet sich auch ein Lexikon der Jugendsprache im Portfolio. Man könnte dieses durchsichtige Kalkül fast schon cringe finden. Wenn man für das Wort nicht längst zu alt wäre.

Marc.Beyer@ovb.net

Artikel 11 von 11