Quito – Eineinhalb Wochen vor der Präsidentenwahl hat die Ermordung eines Kandidaten Ecuador erschüttert und die politische Krise in dem kleinen Andenstaat dramatisch zugespitzt. In Mafiamanier feuerten Unbekannte in der Hauptstadt Quito auf den 59 Jahre alten Oppositionskandidaten Fernando Villavicencio, als dieser nach Angaben der Staatsanwaltschaft eine Wahlkampfveranstaltung in einer Schule verließ. Laut Medien wurde er dreimal in den Kopf getroffen. Präsident Guillermo Lasso sprach von Auftragskillern (spanisch: sicarios). Er verhängte einen 60-tägigen Ausnahmezustand und mobilisierte die Streitkräfte.
Nach dem Attentat gab es dramatische Szenen. Bilder und Videos zeigen blutüberströmte Opfer, verzweifelte Helfer sowie Menschen, die auf dem Boden liegend Schutz suchen und nach Hilfe schreien. Einer der mutmaßlichen Attentäter sei bei einem Schusswechsel mit der Polizei verletzt worden und auf dem Weg ins Krankenhaus gestorben, sagte der Präsident. Sechs weitere Verdächtige seien gefasst worden. Die Angreifer hätten noch eine Granate in die Menge geworfen. Diese sei aber nicht explodiert. Innenminister Juan Zapata erklärte, bei den Attentätern handle es sich um Ausländer. Medienberichten zufolge stammen sie aus Kolumbien.
Lasso, der nicht selbst zur Wahl antritt, nannte den Mord ein politisches Verbrechen mit terroristischen Zügen. „Wir haben keine Zweifel, dass dieser Mord ein Versuch ist, den Wahlprozess zu sabotieren“, sagte er. Die Abstimmung werde aber wie geplant am 20. August stattfinden. Man werde der Gewalt nicht weichen. „Der Staat ist standhaft, und die Demokratie wird der Brutalität dieses Mordes nicht nachgeben. Wir werden dem organisierten Verbrechen nicht die Macht und die demokratischen Institutionen überlassen.“
Damit sprach er eines der drängendsten Probleme an, mit denen das sonst als so friedfertig geltende Land am Äquator seit geraumer Zeit zu kämpfen hat: Ecuador liegt auf der Transitroute des Kokains, das vor allem in anderen südamerikanischen Ländern wie Kolumbien, Bolivien und Peru hergestellt wird und das Drogenkartelle dann in die USA oder Europa schmuggeln. Dies bringt Gewalt und Korruption mit sich – immer wieder kommt es zu blutigen Revolten in überfüllten Gefängnissen, die teils von Gangs kontrolliert werden. Die Mordrate von 25 Tötungsdelikten je 100 000 Einwohnern 2022 war die höchste in der Geschichte des Landes und überstieg sogar jene von Mexiko und Brasilien.
Gegen diese Gewalt und die Korruption im Staat war der nun ermordete Kandidat zu Felde gezogen. Medienberichten zufolge hatte Villavicencio erst vergangene Woche Drohungen gegen ihn und sein Team von einem Drogenpaten erhalten.
Seine Schwester Patricia machte die Regierung für den Angriff verantwortlich. „Sie haben die Demokratie getötet“, sagte sie örtlichen Medien zufolge. „Sie wollten nicht, dass die Korruption aufgedeckt wird. Nun werden wir als Familie verfolgt. Sie werden uns aber nicht zum Schweigen bringen.“ Villavicencio, der Journalist und Abgeordneter war, bewarb sich als Kandidat der Bewegung Construye (Baue) um das höchste Staatsamt und lag nach jüngsten Umfragen zufolge auf dem vierten oder fünften Platz. J. VOGELSÄNGER, D. DÜTTMANN