München – Es ist erst ein paar Tage her, dass die AfD Europa den Kampf ansagte. Beim Parteitag in Magdeburg war von einem radikalen Rückbau der EU die Rede, von einem losen Bund europäischer Nationen, viele forderten den deutschen EU-Austritt. Thüringens Landeschef Björn Höcke trieb es auf die Spitze: „Diese EU muss sterben, damit das wahre Europa leben kann“, sagte er.
Viele Demokraten fröstelte es bei dem Satz, der nun noch mal nachhallt. Ausgerechnet die rechts-nationalen und extremen Kräfte können sich für die Europawahl im Juni Hoffnungen machen. Die ID-Fraktion, zu der neben der AfD die Lega (Italien) und der Front National (Frankreich) gehören, käme laut einer Analyse auf 77 Sitze (plus 15); die EKR-Fraktion um die polnische PiS und die Fratelli d’Italia gewänne sogar 23 Sitze hinzu und käme auf 89. Zusammen hätten sie 23,5 Prozent der 705 Parlamentssitze inne. Träte die fraktionslose ungarische Fidesz einer der Gruppen bei, wüchse der Anteil noch.
Die Zahlen basieren auf einer Analyse der Nachrichtenplattform „Politico“, die nationale Umfragen ausgewertet hat. Für die Stärke der ID-Fraktion ist demnach die AfD verantwortlich, die rund 20 Abgeordnete bekäme; bislang sind es neun. Die etwas gemäßigtere EKR-Fraktion profitiert vom Zuspruch der Fratelli.
Überraschend ist das nicht, die Ergebnisse spiegeln eher einen Trend wider, der in vielen Ländern Europas zu beobachten ist: Rechtspopulisten wachsen, Grüne schrumpfen. In der „Polico“-Analyse sind die Grünen die großen Verlierer (minus 24 Sitze). Liberale und die konservative EVP von Parteichef Manfred Weber büßen jeweils zwölf Sitze ein.
An den Mehrheiten im Parlament würde so ein Ergebnis zwar nicht viel ändern. EVP, Sozialdemokraten und Liberale, die seit 2019 eine informelle Koalition bilden, hätten weiter ein bequemes Polster und könnten gemeinsam Gesetze beschließen. Allerdings zeigten sich kürzlich erste Bruchstellen, etwa als EVP-Chef Weber im rechten Lager nach Verbündeten suchte, um das Renaturierungsgesetz zu stoppen. Das misslang, aber die Frage blieb: Öffnet die EVP sich jetzt nach rechts?
Streng genommen begann die Diskussion schon Ende letzten Jahres, als Weber die Nähe zu Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni zu suchen begann. Die ist Chefin der postfaschistischen Fratelli d’Italia, einer Partei voller Mussolini-Nostalgiker; als im November nette Bilder von Weber und Meloni die Runde machten, hagelte es Kritik am EVP-Chef samt Mahnungen, die Brandmauer nicht einzureißen. Selbst CSU-Chef Markus Söder fuhr Weber in die Parade und schloss von München aus eine Kooperation mit den Fratelli aus.
Weber beeindruckte das nicht, er hält es für strategisch geboten, neue Partner auszutesten. Für ihn heißt das allerdings nicht, beliebig im rechten Becken zu fischen. Vielmehr zieht er drei rote Linien: Mögliche Partner müssten pro-ukrainisch, pro-europäisch und pro Rechtsstaat sein. „In diesen drei Prinzipien gibt es für uns kein Wackeln“, sagte Weber kürzlich im ZDF.
Die AfD kommt nach dieser Logik genauso wenig für eine Zusammenarbeit infrage wie die polnische PiS oder der Front National. Bei den Fratelli unterscheidet Weber genau. Mit der Partei hadert er, die Chefin sieht er auf dem richtigen Weg. Melonis Regierungshandeln und ihr internationales Standing zeigten sehr klar, „dass sie in die Mitte gehen will“. Weber will die Vernünftigen unter den Rechten von den Extremisten lösen. Das, sagte er mal, sei sein „strategisches Ziel“ als EVP-Chef.
Offen bleibt, was das konkret für die Europawahl und die Zeit danach heißt. Die EVP bliebe laut der „Politico“-Analyse zwar stärkste Kraft, wäre für ein paar Sitze mehr aber sicher dankbar – zumal nach dem Ausscheiden der ungarischen Fidesz. Weber ist derzeit im Urlaub. Eine Anfrage dazu beantwortete er nicht.
Was die „Politico“-Daten betrifft, lohnt nicht nur der Blick nach rechts, sondern auch der nach links. Die Sozialdemokraten sind demnach leicht im Aufwind, die Linke noch klarer. Ein Dämpfer könnte aber ausgerechnet von Deutschland ausgehen. Eine Spaltung der hiesigen Linken ist denkbar, für die abtrünnige Sahra Wagenknecht wäre die Europawahl ein guter Zeitpunkt, das Potenzial einer neuen Partei auszutesten.