München – Um 17.09 Uhr an diesem hochsommerlichen Freitagnachmittag betritt Olaf Scholz die Bühne am Marienplatz. Es brandet Applaus auf, aber auch ein gellendes Pfeifkonzert setzt ein. Wohl mehrere dutzend Personen aus dem Umfeld der AfD und der Querdenker-Szene sorgen für einen Dauerschallpegel in Münchens guter Stube. Sie sind nicht gekommen, um zuzuhören, sondern um zu stören. Weshalb die Veranstaltung unter großen Sicherheitsauflagen und starkem Polizeiaufgebot stattfindet.
Der Kanzler lässt sich unterdessen nicht aus der Ruhe bringen. Das weiße Hemd leicht hochgekrempelt, die Stimme laut, hält er eine freie Rede. Zwar nur 25 Minuten, aber für seine Verhältnisse ungewohnt leidenschaftlich und kämpferisch. Gleich zu Beginn verteidigt Scholz die Ukraine-Politik samt der Waffenlieferungen: Es sei richtig, dass Deutschland und viele andere Staaten ein Land gegen einen imperialistischen Angriff unterstützten. „Putin muss klar gesagt werden, dass Grenzen nicht mit Gewalt verschoben werden.“
Innenpolitisch kündigt der Kanzler beim Ausbau regenerativer Energien Tempo an. Eine Geschwindigkeit, die ihm im Freistaat abgeht: „Herzliche Grüße an die Bayerische Staatsregierung.“ Eine weitere Anhebung des Rentenalters schließt Scholz aus, während er die Zeit für Lohnsteigerungen in den untere Einkommensgruppen für gekommen sieht. Dass Deutschland ein führendes Automobilland bleiben soll, steht für ihn außer Frage. Und dass es bei der Ernährung keine Vorschriften geben soll, auch: „Ich esse – pardon – gerne Fleisch.“ Über diese Fragen zu entscheiden, sei nichts für die Politik: „Wir sind ein freies Land.“ Einen Gruß an die Grünen richtet er hier allerdings nicht.
Mit am meisten Applaus gibt es am Marienplatz, als der bayerische SPD-Spitzenkandidat Florian von Brunn und Scholz klare Kante gegen Rechts zeigen. Von Brunn bezeichnet die bayerische AfD als „besonders rechtsextrem“ und fügt an: „Die kennen nur Zerstörung und Spaltung.“ Diese Partei sei keine Alternative, sondern eine Schande für Deutschland. Die SPD wiederum war und bleibe das „Bollwerk gegen Nazis“. Von Brunn und Münchens Bürgermeisterin Verena Dietl tadeln vor allem die bayerische Wohnungs-, Energie- und Sozialpolitik. Scholz attestieren sie, die Sorgen der Bürger besser im Blick zu haben als Markus Söder. Überdies habe der Kanzler Deutschland sicher und besonnen durch die Energiekrise geführt.
Scholz erklärt am Ende seiner Rede: „Die Zukunft ist gut, sie ist demokratisch und frei. Sie besteht aus einem Land, in dem wir unterschiedlich sind und gut und gerne zusammenleben.“ Bayern habe die besten Chancen, sich gut zu entwickeln. Und Florian von Brunn und die SPD in Bayern seien die richtigen dafür. Nach Polizeiangaben bleibt alles weitgehend friedlich am Marienplatz – obwohl es im Umfeld auch Demos von der AfD und von Querdenkern gibt. Florian von Brunn sagt später: „Der Protest war überschaubar.“ Scholz habe eine „tolle Rede“ gehalten, und er sei dem Kanzler dankbar für die Unterstützung.
Dennoch war der Auftritt auf dem Marienplatz für die SPD – die in Bayern laut Umfragen zwischen neun und elf Prozent dümpelt – ein Risiko: Seit dem Merkel-Wahlkampf 2017 sind die großen Plätze keine sicheren Jubelfeste mehr, es finden sich häufig Störer und Gegendemonstranten ein. Im Fall von Merkel sogar hartnäckige Kritiker, die ihr mit Trillerpfeifen und Transparenten durch die Republik hinterher reisten. Die Union hat daraus bereits gelernt, ihre Schlusskundgebungen vor der Wahl in geschlossene Hallen zu verlegen, um den Zugang regulieren zu können.
Erschwerend für Scholz kommt hinzu, dass sein Ansehen in Umfragen gerade abgesackt ist. In Bayern, wo die CSU besonders inbrünstig gegen die Ampel-Koalition argumentiert, sind laut jüngsten GMS-Daten 68 Prozent mit Scholz unzufrieden. Bundesweit sind es im aktuellen ZDF-Politbarometer der Forschungsgruppe Wahlen 51 Prozent. Zum ersten Mal seit Amtsantritt ist damit das Ansehen des Kanzlers ins Negative gekippt.
Kleiner Trost für Scholz: Dem Oppositionsführer geht es nicht viel besser. In der Umfrage teilen nur 22 Prozent die Ansicht, Friedrich Merz sei ein geeigneter Bundeskanzler. Sogar jeder zweite Unionswähler hält Merz für nicht geeignet.
Marienplatz – das war ein Risiko