VON GEORG ANASTASIADIS
So hatte sich Olaf Scholz die Rückkehr aus der Sommerpause nicht vorgestellt: Mittags tanzte ausgerechnet eine weitgehend unbekannte grüne Familienministerin dem Kanzler im Kabinett auf der Nase herum, und am Abend hagelte es Buhrufe auf dem NRW-Unternehmertag für den als Stargast angekündigten Regierungschef. Der Blamage folgte auf dem Fuß die Demütigung. Nicht nur SPD-Chef Klingbeil ist „fassungslos“. Auch dem dickfelligen Kanzler, der sich so gern seiner Nervenstärke rühmt, kann nicht entgangen sein: Etwas ist in dieser Woche zerbrochen zwischen Regierenden und Regierten. Es ist der Glaube an die Gestaltungskraft der Politik und die Zuversicht, dass man gemeinsam die Krise schon meistern werde.
Vorerst abgesagt wurde in jener denkwürdigen Kabinettssitzung übrigens nicht nur das „Wachstumschancengesetz“, mit dem FDP-Chef Lindner und der Kanzler das leckgeschlagene Wirtschaftsschiff wieder flottkriegen wollten. Als verbindliche Gesetzesvorgabe gestrichen wurde auf Druck der Grünen auch die Zusage an die Nato, jedes Jahr mindestens zwei Prozent des Haushalts in die Verteidigung zu investieren. Das aber war der Kern des Zeitenwende-Versprechens des Kanzlers.
Die Deutschen haben Scholz zum Kanzler gewählt, weil sie in ihm die männliche Kopie der scheidenden Angela Merkel sahen. Jetzt stellen sie entsetzt fest, dass er es tatsächlich ist: Er führt nicht von vorn, wartet ab, lässt die Dinge treiben, verwaltet und redet das auch noch schön, indem er erklärt, dass er sich die Entscheidung eben nicht leicht mache. Doch die Zeiten haben sich gewendet. Es reicht nicht mehr, das Land zu verwalten, wie Merkel es 16 Jahre lang tat. Die im Morast steckende Republik braucht einen Macher, einen Anpacker wie einst Schröder, als er sich entschlossen hatte, die „ruhige Hand“ sein zu lassen. Doch so einer ist Scholz nicht und kann es von seinem Gepräge her wohl auch nie sein. Kein Wunder, dass sich in der SPD plötzlich viele Augen auf Boris Pistorius richten.
Georg.Anastasiadis@ovb.net