München – Mitten in den Sommerferien und unbemerkt von den meisten Menschen steht Bayern kurz vor dem Start in die wichtigsten Wochen der Landtagswahl. Denn schon ab dem 28. August und damit fünf Wochen und sechs Tage vor dem Wahlsonntag können sich die rund 9,4 Millionen Wahlberechtigten aufmachen, ihre Stimmen per Briefwahl abzugeben. Seit Jahren wächst der Anteil der Briefwähler stark an – 2018 lag er hierzulande mit 38,9 Prozent so hoch wie nie zuvor. Und Experten wie Parteien rechnen fest damit, dass die Wahl am 8. Oktober einen Rekordwert an Briefwählern liefern wird.
„Es wird sicher ein Rekord werden, ob der Anteil aber über die 50-Prozent-Marke geht, ist kaum zu prognostizieren“, sagt Politikwissenschaftlerin Sabrina Mayer. Nach Angaben der Inhaberin des Lehrstuhls für Politische Soziologie an der Uni Bamberg nutzen auch auf dem Land immer mehr Menschen die Briefwahl: „Früher hatte der Gang zum Wahllokal am Sonntag was Rituelles, und gerade auf dem Land hatte es auch was von sozialer Kontrolle, es ging auch darum, dort gesehen zu werden. Das ist heute aufgeweicht.“
Seit 1958 ist in Bayern die Briefwahl möglich, damals machten nur 96 112 Menschen davon Gebrauch. Damals durfte aber auch nur derjenige Briefwahl machen, der sich „am Wahltag aus wichtigem Grund“ außerhalb seines Wahlkreises aufhielt. Dazu zählte ein Urlaub ebenso wie Arbeit, Krankheit oder Freiheitsentziehung, also ein Gefängnisaufenthalt. Zum Vergleich: 2003 waren es bereits mehr als 1,2 Millionen und vor fünf Jahren sogar fast 40 Prozent.
Für die Parteien werde der Wahlkampf durch den wachsenden Anteil an Briefwählern immer schwieriger. Das habe viele Auswirkungen und berge auch Risiken, da viele Wähler vom langen Wahlkampf erschöpft seien. „Viele Parteien haben die Briefwahl zwar im Hinterkopf, im Wahlkampf fokussieren sie sich aber auf die klassischen Urnenwähler.“ Mit Blick auf mögliche Wahlerfolge kann keine Partei auf Briefwähler verzichten. Laut Mayer lag nur bei der AfD bisher der Anteil bei den Urnenwählern deutlich über dem der Briefwähler.
„Immer mehr Menschen wählen per Brief“, sagt Grünen-Spitzenkandidat Ludwig Hartmann. „Das heißt für uns, dass die heiße Wahlkampfphase früher beginnt – nämlich schon jetzt.“ Für CSU-Generalsekretär Martin Huber ist ab dem Beginn der Briefwahl „jeder Tag Wahltag: Es ist der Start in die Wahlkampf-Schlussphase.“
Die Briefwahl ermögliche es Wählern, die am Wahlsonntag aus Zeitgründen oder aufgrund körperlicher Einschränkungen nicht ins örtliche Wahllokal gehen können, ihre demokratischen Rechte auszuüben, sagt FDP-Spitzenkandidat Martin Hagen. Für die FDP sei die Briefwahl „traditionell besonders wichtig, weil unsere Anhänger sehr mobil sind“. Auch die SPD hofft auf viel Zuspruch vonseiten der Briefwähler. „Wir werden deswegen unsere Kampagnenaktivitäten rund um den Versand der Briefwahlunterlagen auch intensivieren“, sagt Spitzenkandidat Florian von Brunn.
Für Susann Enders, Generalsekretärin der Freien Wähler, bietet die Briefwahl noch einen weiteren Vorteil: „Sehr viele Menschen nutzen die Briefwahl, weil sie eine bequeme Möglichkeit mit genug Zeit bietet, um eine Wahl zu treffen.“ Briefwähler könnten in Ruhe reflektieren, wem sie ihre Stimme geben wollten. MARCO HADEM