Woher kommt Kinderarmut?

von Redaktion

Lindner: „Statistischer Zusammenhang mit Zuwanderung“ – VdK prangert Haushaltsstreit an

München/Berlin – Das Thema ist aus mehrerlei Hinsicht gerade heikel, und so tastet sich der Bundesfinanzminister in vorsichtigen Schritten zum Kern. „In Deutschland ist die Kinderarmut deutlich zurückgegangen“, sagt Christian Lindner (FDP) bei einem Auftritt in Berlin. „Ganz, ganz deutlich spürbar zurückgegangen – bei den ursprünglich deutschen Familien, die schon länger hier sind“, fährt er fort. Insgesamt sei die Kinderarmut hierzulande aber dennoch vergleichsweise hoch. Und zwar: „Wegen der Familien, die seit 2015 neu nach Deutschland eingewandert sind – als Geflüchtete oder aus anderen Gründen“, sagt Lindner und nähert sich dem Ziel seiner Argumentationskette. „Es gibt also einen ganz klaren statistischen Zusammenhang zwischen Zuwanderung und Kinderarmut.“ Erster Schritt geschafft.

Zweiter Schritt: Dies vorausgesetzt wolle er diskutieren, was den betroffenen Kindern denn am besten helfe, sagt Lindner. „Dass man den Eltern mehr Geld aufs Konto überweist?“, fragt er. „Oder ist es nicht vielleicht mindestens diskussionswürdig, in die Sprachförderung, Integration, Beschäftigungsfähigkeit der Eltern zu investieren und die Kitas und Schulen für die Kinder so auszustatten, dass sie vielleicht das aufholen können, was die Eltern nicht leisten können?“

Bei aller Bemühung zur Samtpfotigkeit stoßen Lindners Aussagen am Montag teils auf lauten Widerspruch. In den sozialen Medien werden Rassismus-Vorwürfe gegen den FDP-Chef laut – was in diesem Umfeld allerdings auch nicht gerade Seltenheitswert hat. Auch Grünen-Chefin Ricarda Lang widerspricht Lindner: „Verschiedene Zahlen zeigen uns, dass wir ein Problem mit verfestigter Kinderarmut schon seit längerer Zeit hier in Deutschland haben.“ Kinderarmut sei nicht importiert, sondern „ein strukturelles Problem“, hält auch Linke-Chefin Janine Wissler Lindner entgegen. Betroffen seien vor allem Alleinerziehende und das unabhängig von der Nationalität. Unterstützung kommt hingegen aus der bayerischen FDP. Dass Lindner richtig liege das zeigten „die offiziellen Statistiken der Agentur für Arbeit“, schreibt Landtags-Spitzenkandidat Martin Hagen auf X (früher Twitter).

Nun geschieht das alles natürlich nicht im luftleeren Raum. Zur Erinnerung: Vergangene Woche hat Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) Lindners „Wachstumchancengesetz“ zur Wirtschaftsförderung im Kabinett blockiert, weil der Finanzminister die von Paus geplante Ausweitung der Kindergrundsicherung finanziell nicht so ausstatten will, wie es der Ministerin nötig erscheint. Paus hatte einmal einen Bedarf von zwölf Milliarden Euro genannt. Ihr Gesetzesentwurf sieht „Zeit online“ zufolge nun bereits eine deutlich niedrigere Summe von 3,5 Milliarden jährlich vor. Lindner hatte im Haushalt einen Platzhalter von zwei Milliarden Euro eingeplant. Der Streit soll Ende August bei der Kabinettsklausur im brandenburgischen Meseberg aufgelöst werden.

Dass das gelingt, erwarten neben der genervten SPD auch die Grünen selbst. Deren Fraktionschefin im Bundestag, Britta Haßelmann, verteidigt allerdings das Vorgehen ihrer Parteikollegin Paus. Wenn es bei Gesetzesvorhaben offene Fragen gebe, dann sei es „auch ein Stück weit normal, dass man die stellt und die beantwortet werden“, sagt sie im ZDF.

Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbands VdK, reagiert hingegen empört auf die Debatte um die Kindergrundsicherung. „Es ist unverantwortlich und unsozial, die Zukunft von Millionen Kindern im Klein-Klein von Haushaltsstreitigkeiten zu opfern“, sagt sie.

Der Deutsche Landkreistag fürchtet derweil etwas anderes. Mit der geplanten Kindergrundsicherung drohten „neue Bürokratie, zusätzliche Wege, mehr beteiligte Behörden, Schnittstellen und Doppelstrukturen“, sagt Präsident Reinhard Sager der „FAZ“. SEBASTIAN HORSCH

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