Gipfeltreffen auf dem Bohrturm

von Redaktion

VON SEBASTIAN HORSCH

Geretsried – Als Scholz und Söder gemeinsam in den Bohrturm steigen, steht die Sonne schon nicht mehr ganz im Zenit – und brennt doch unerbittlich. Es ist ein heißer Donnerstagnachmittag in einem Waldstück in der Nähe von Geretsried im Süden von München. Die kanadische Firma Eavor gräbt hier in einem fortschrittlichen Verfahren nach der Energie der Zukunft. Und da Deutschland gerade um beides bangt – Energie und Zukunft –, schmücken sich die Polit-Profis nur zu gerne mit dem Pionier-Projekt.

Auch für Beobachter ist es ein reizvolles Aufeinandertreffen. Markus Söder (CSU), Ministerpräsident von Bayern, befindet sich gerade im Landtags-Wahlkampf und arbeitet sich seit Wochen an der Ampel in Berlin ab. Olaf Scholz (SPD), Bundeskanzler von Deutschland, hat ebenfalls viel mit dieser heillos zerstrittenen Koalition zu kämpfen – nur, dass er eben ihr Chef ist. Und nun stehen sie gemeinsam hier, tragen Bauhelme und lassen schöne Bilder machen.

Nach dem Bohrturm folgt das Festzelt, derzeit so etwas wie Söders zweites Wohnzimmer – in mehr als 100 Bierzelten will er bis zur Wahl am 8. Oktober gesprochen haben. Und selbst wenn es hier vor ausgewähltem Publikum mutmaßlich gediegener zugeht als auf dem Volksfest Mühldorf, wo er am Abend auch noch auftritt, legt der Franke im Wahlkampf Wert auf die richtigen Botschaften. Den kanadischen Gastgebern gibt Bayerns Landeschef sicherheitshalber mit auf den Weg. „Wir sind ein innovatives Land – Deutschland natürlich auch.“

Scholz hat derweil in der ersten Reihe Platz genommen – und Söder rechnet dem Kanzler vor: Was erneuerbare Energien betrifft, sei Bayern insgesamt die Nummer zwei nach Niedersachsen – und sogar die Nummer eins bei installierter Leistung und Zubau. Ganz vorne bei Photovoltaik, Wasserkraft, Biomasse und eben Geothermie. Und selbst bei Wind sei der Freistaat immerhin die Nummer acht. Das zeige: Bayern bringe sich ein, leiste seinen Beitrag zur Energiewende. Auch deshalb gelte: „Wir wollen keine Strompreiszonen, die unterschiedlich sind in Deutschland“, sagt Söder.

Gemeint ist der Vorstoß der Bundesnetzagentur, die Netzentgelte in Deutschland neu zu verteilen. Kommt es so, würden – umgekehrt als heute oft – Haushalte in windkraftarmen Regionen (wie viele in Bayern) wohl mehr für Strom zahlen und andere in Windkrafthochburgen im Norden weniger. Als „Totengräber der süddeutschen Industrie“ bezeichnete Söder zuletzt die Unterstützer solcher Pläne – und Scholz ist einer davon.

In seiner Rede verknüpft Söder nun mögliche Entgelterhöhungen im Freistaat mit dem Länderfinanzausgleich. „Wir sind das einzige Bundesland, das zehn Milliarden Euro pro Jahr an andere Bundesländer bezahlt“, sagt er. Schon draußen vor dem Zelt hatte er sich gegenüber Journalisten beschwert, dass in Deutschland „nur über Wind geredet“ werde – und den Länderfinanzausgleich ins Spiel gebracht. Wenn der eingestellt würde – „dann können wir reden“. Doch „einseitige Szenarien“ seien „nicht angebracht“.

Wer nun auf eine Replik des Kanzlers hofft, wird enttäuscht. Der hat zwar laut Veranstaltungszeitplan drei Minuten mehr Redezeit als Söder, hält sich aber in typisch unaufgeregter Manier an sein Skript. Scholz lobt die „technische Meisterleistung“ für ein Projekt, das „richtig und wichtig“ sei. Zudem wünscht er noch „herzlichen Erfolg“ – also den Geothermie-Bohrern, nicht Söder.

Aufhorchen lässt hingegen eine eher beiläufige Äußerung des Kanzlers, die in der Nüchternheit seines Vortrages beinahe untergeht. Denn inmitten der laufenden Diskussion um einen vergünstigten Industriestrompreis hebt Scholz auch die Bedeutung preiswerter Energie für die Wirtschaft hervor. „Alle Investoren interessiert, ob vor Ort genügend bezahlbare Energie vorhanden ist“, sagt er am Donnerstag. Dabei äußerte er sich – anders als andere SPD-Politiker – zuletzt noch skeptisch zu einem Sonderstromtarif für bestimmte Unternehmen, bezeichnete ein solches Vorhaben gar als „schuldenfinanziertes Strohfeuer, das die Inflation wieder anheizt“. Möglicher Hintergrund: In der SPD-Bundestagsfraktion steht demnächst eine Abstimmung über diese Frage an. » WIRTSCHAFT

Artikel 1 von 11