Explosion im Bayern-Wahlkampf

Der böse Fall Aiwanger

von Redaktion

VON GEORG ANASTASIADIS

Pünktlich zum Beginn der Briefwahl erlebt der lange träge dahin dümpelnde Bayern-Wahlkampf jetzt doch noch seinen Knalleffekt. Besser gesagt: eine Explosion, von der noch nicht absehbar ist, ob sie die Söder-Aiwanger-Koalition im Freistaat mit in die Luft sprengt.

Die Vorwürfe sind gravierend. So gravierend, dass die Freien Wähler es sich zu leicht machen, wenn sie das Bekanntwerden des Skandals als zeitlich präzise gesteuerte „Schmutzkampagne“ abtun und sich als Opfer gerieren. Weitgehend unbestritten ist folgender Sachstand: Der heutige bayerische Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger hat als Schüler in der Oberstufe an seiner niederbayerischen Schule (angeblich von seinem Bruder verfasste) antisemitische Flugblätter verteilt, die so fürchterliche Sätze enthalten, dass sich dem Leser die Nackenhaare sträuben – bis hin zu dem als „Preis“ ausgelobten „Freiflug durch den Schornstein in Auschwitz.“ Gewiss, Aiwanger war damals noch Schüler. Doch von einem fast Volljährigen wäre doch eine Reife zu erwarten gewesen, die ihn davon abhält, mit Hitlerbärtchen an der Schule herumzustolzieren und widerwärtigste Ermordungsparolen zu verbreiten. Zeitzeugen, die sich nun an die Öffentlichkeit wandten, begründen das mit ihrer Sorge, dass sich der heute 52-jährige Aiwanger zurück zu seinen „antidemokratischen Wurzeln“ bewege. Auch wenn man diese Befürchtung nicht teilt, so ist sie doch zumindest nachvollziehbar, wie Aiwangers jüngste Auslassungen über die angeblich nur „formale“ deutsche Demokratie zeigen. Die Frage bleibt im Raum: Ist diesem Aiwanger zu trauen? Hat er sein menschenverachtendes Weltbild von früher wirklich überwunden?

Den Ministerpräsidenten Markus Söder bringen die Enthüllungen in eine schwierige Lage. Der CSU-Chef mag häufig schwanken. Felsenfest aber steht schon seit Jahrzehnten sein Bekenntnis, die CSU müsse die Schutzmacht der in Bayern lebenden jüdischen Mitbürger sein. Der Skandal um seinen abgründigen Stellvertreter wirft Fragen auf, er beschmutzt das Ansehen der Staatsregierung und Bayerns und lastet vor der Landtagswahl als Hypothek auch auf dem Landesvater. Opfert Söder aber die Koalition mit den Freien Wählern, bleiben ihm als mögliche Koalitionspartner womöglich nur SPD und Grüne, weil der Einzug der FDP in den neuen Landtag ungewiss erscheint. Damit würde die CSU ihren Ruf als letztes Bollwerk gegen die Ergrünung der Republik verlieren.

Söder hat also nur die Wahl zwischen mehreren schlechten Optionen – erst recht, wenn sich herausstellt, dass die Freien Wähler den Fall zur Mobilisierung nach dem Motto „jetzt erst recht“ nutzen, statt ihren Chef eine Zeitlang aus dem Feuer zu nehmen und ihn aus dem Kabinett abzuziehen. Seinen Blankoscheck für die Fortsetzung der Koalition müsste Söder dann wohl zurücknehmen.

Georg.Anastasiadis@ovb.net

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