Berlin – Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat sich kurz vor der Kabinettsklausur auf Schloss Meseberg angesichts anhaltender Streitereien in der Ampel-Koalition um mehr Geschlossenheit bemüht. Auf die Frage, ob gegenseitige Gesetzesblockaden weitergehen würden, sagte er der Mediengruppe Bayern: „Davor kann ich nur warnen.“ Die Auseinandersetzung über die Kindergrundsicherung will Scholz rasch beilegen. „Die Bundesregierung wird bis nächste Woche klären, wie die Kindergrundsicherung konkret ausgestaltet wird“, ergänzte er. SPD-Chefin Saskia Esken rief die Koalition zu mehr Gelassenheit auf.
Am Dienstag kommen Scholz und seine 16 Minister zu ihrer fünften Kabinettsklausur im Gästehaus der Bundesregierung auf Schloss Meseberg nördlich von Berlin zusammen. Auch vor der Sommerpause hatten sich die Koalitionäre immer wieder gestritten – besonders heftig über das Heizungsgesetz.
Die Regierung habe weitreichende Entscheidungen getroffen, die für mehr Tempo und Modernisierung sorgten, sagte Scholz. „Wir sollten uns mehr darauf konzentrieren, die Erfolge der Regierungstätigkeit herauszustellen und die nötigen Diskussionen über unsere Vorhaben intern führen.“
Esken sagte, dass Argumente zwar auch in der Öffentlichkeit ausgetauscht werden müssten – immer müsse die Bevölkerung die Möglichkeit haben, sich eine Meinung zu bilden. „Aber das muss nicht im Streit geschehen. Das wollen die Leute nicht, und es bringt die Sache auch meistens nicht voran.“
Zur Halbzeit der Wahlperiode sind fast drei Viertel der Deutschen unzufrieden mit der Arbeit der Ampel-Regierung. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov vertreten 72 Prozent diese Meinung. Nur 23 Prozent sind zufrieden mit der Koalition von SPD, Grünen und FDP. 68 Prozent der knapp 1300 Befragten trauen der Regierung von Scholz nicht zu, die drängenden Probleme des Landes zu lösen.
Besonders schlechte Noten bekommt der Kanzler. 66 Prozent sagen, er mache einen eher schlechten Job. Nur 26 Prozent bewerten seine Arbeit dagegen als eher gut. Auch die Arbeit seiner wichtigsten Minister wird fast durchweg eher negativ bewertet. Die Arbeit von Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) finden 63 Prozent eher schlecht, bei Finanzminister Christian Lindner (FDP) sind es 57 Prozent und bei Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) 52 Prozent. Nur einer wird überwiegend positiv bewertet: Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD). 52 Prozent finden seine Arbeit eher gut und nur 28 Prozent eher schlecht. Vor allem die Grünen werden dafür verantwortlich gemacht, dass die Koalition so viel und heftig streitet. 40 Prozent sagten, dass die Partei am ehesten Streit vom Zaun breche.
Am Freitag waren Gespräche über die Kindergrundsicherung vertagt worden. Sie sollen bis Klausurbeginn am Dienstag abgeschlossen sein. In der ersten Kabinettssitzung nach der Sommerpause eskalierte der Streit: Familienministerin Lisa Paus (Grüne) blockierte das Gesetz für mehr Wirtschaftswachstum von Linder, weil sie die Finanzierung ihres Projekts noch nicht gesichert sah. Justizminister Marco Buschmann (FDP) forderte von Paus ein Einlenken: „Bei unserer wirtschaftlichen Lage können wir uns keine weitere Verzögerung leisten.“ Das Vorhaben von Lindner sieht rund 50 steuerpolitischen Maßnahmen vor, die die Wirtschaft um jährlich 6,5 Milliarden Euro entlasten sollen.
Lindner betonte am Sonntagabend im ZDF-„Sommerinterview“, er habe „keine Konfrontation in die Öffentlichkeit getragen“, der Streit sei nicht von ihm ausgegangen. Er habe darauf hingewiesen, dass es einen Zusammenhang zwischen Kinderarmut und Einwanderung nach Deutschland gebe. „Das sind die nüchternen Zahlen.“
Auf den Vorwurf, das Regierungsprinzip sei mittlerweile ein maximales Gegeneinander, räumte er ein: „Der öffentliche Eindruck ist nicht zufriedenstellend.“ Man könne aber über Dinge wie Kindergrundsicherung nur sprechen, wenn es ein starkes wirtschaftliches Fundament gebe. Er gab sich aber optimistisch: „Ich rechne damit, dass wir sehr kurzfristig eine Einigung über die Eckpunkte haben, was getan werden soll.“ Mit einem Machtwort des Kanzlers in der Frage rechnet er nicht. „Es kann in der Demokratie keine Machtworte geben, weil man kommt zusammen für gemeinsame Vorhaben. Und es geht ja darum, Gutes für unser Land zu bewirken.“
Fast drei Viertel unzufrieden mit Ampel-Regierung