„Die Faktenbasis stimmt nicht“

von Redaktion

INTERVIEW Heinrich Oberreuter zur Debatte über Hubert Aiwanger und die Freien Wähler

München – Der Passauer Politikwissenschaftler Heinrich Oberreuter (80) beobachtet die bayerische Landespolitik seit Jahrzehnten. Ein Gespräch über die wahrlich ungewöhnliche Flugblatt-Affäre um Hubert Aiwanger.

Herr Professor Oberreuter, die einen sprechen von Jugendsünde, die anderen von Antisemitismus-Skandal. Wie sehen Sie es?

Erstens wissen wir nicht, ob Hubert Aiwanger der Autor des Flugblattes war. Dieses Blatt war eine moralische Entgleisung größter Dimension, die ich auch nicht durchgehen lassen würde, wenn es 430 Jahre her wäre. Wir sind als Jugendliche mit dem Nationalsozialismus auf einem ganz anderen Niveau umgegangen. Aber was mich aufregt, ist der Umgang damit.

Was meinen Sie?

Ich frage mich, ob es seriös ist von einer Tageszeitung wie der „Süddeutschen“, auf einer derart ungesicherten Informationsgrundlage einen in Verantwortung stehenden Politiker zum Abschuss freizugeben. Offenbar ist die Quelle Lehrpersonal von damals, das seit Langem versucht, Aiwanger abzuschießen. Die Faktenbasis stimmt nicht! Und nicht nur die Grünen, SPD und FDP nutzen nun diesen moralischen Dreck dazu, Tagespolitik zu machen und sich der CSU als Partner anzubieten. Das ist auch alles andere als koscher.

Jetzt liegen die Vorwürfe nun einmal auf dem Tisch.

Wenn es Hubert Aiwanger war, dann muss er zurücktreten. Aber bislang weiß niemand, was wirklich los war.

Markus Söder hat 25 Fragen gestellt.

Ja, das klingt wahnsinnig aufwendig. Aber es hätten auch drei oder sieben sein können.

Wie beurteilen Sie Söders Krisenmanagement?

Er kann nicht sagen: Das geht mich nichts an. Er muss es ernst nehmen. Aber auch er weiß nicht, was vor 37 Jahren war. Aiwangers Verteidigungslinie: Es war der Bruder, den er nicht hinhängen wollte. Das könnte ich nachvollziehen. Wenn Markus Söder das nicht glaubt, dann könnte er Hubert Aiwanger entlassen – und die Freien Wähler müssten dann entscheiden, ob sie ohne Aiwanger weitermachen. Wenn nicht, dann gäbe es halt für die läppische Zeit von drei Wochen eine Minderheitsregierung (lacht).

Das spannende ist ja, was nach der Wahl passiert.

Danach würde es eine Koalitionsbildungsphase geben mit der Frage: Ist Aiwanger Teil der Regierung oder nicht. Und auch hier gilt: Wenn Aiwanger verantwortlich war, wird Söder Nein sagen. Dann werden die Freien Wähler eben ohne Aiwanger eine Koalition eingehen.

Meinen Sie?

Ja, das meine ich. Weil ohne Regierungsamt sind sie macht- und gestaltungslos.

Aber Aiwanger verkörpert quasi die Freien Wähler!

Als ich noch bei der Politischen Akademie in Tutzing im Amt war, hatte ich ein Gespräch mit der Fraktion. Damals habe ich ihnen geraten, eine größere innerfraktionelle Demokratie aufzubauen. Die Charta Aiwanger ist keine Lösung im Parlamentarismus. Aber Machtlosigkeit ist eben auch keine Lösung. Was haben sie denn sonst für Gestaltungsmöglichkeiten? Sie haben ja schon als Anhängsel der CSU relativ wenige. Wenn Aiwanger der Schuldige an diesem Flugblatt ist, dann wäre er klug beraten zu sagen: An mir soll das Wohl der Freien Wähler nicht scheitern.

Aber er hat ja auch eine wahnsinnige Zustimmung.

Im Moment profitieren die AfD und die Freien Wähler. Da wird jemand auf Basis ungesicherter Informationen attackiert. Jemand, der redet wie das Volk. Jemand, der Antworten auf Probleme verlangt, die die Menschen alltäglich erfahren. Andere Politiker schaffen das nicht.

Sehen Sie da ein Stadt-Land-Gefälle?

Das Großstadtmilieu ist grüner und progressiver. Das ist aber keineswegs neu. Aber es gibt eine große Unzufriedenheit mit den Lebensumständen und der sozialen Situation. Viele gehen auf Distanz zu etablierten Institutionen und Parteien. MIKE SCHIER

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