Nürnberg/Dresden – Nach der Kabinettsklausur in Meseberg ringen Grüne und FDP weiter um die richtigen Antworten auf Wirtschaftsflaute und hohe Energiepreise. Die Rezepte, die die beiden ungleichen Koalitionspartner am Donnerstag bei ihren Klausuren in Nürnberg und Dresden diskutierten, entsprechen zumindest auf den ersten Blick dem Stereotyp: Während die Grünen Unternehmen mit Steuergeld stützen wollen, setzen die Freien Demokraten auf Steuersenkungen.
„Wohlstand sichern: Eine dynamische Wirtschaft für eine gerechte Gesellschaft“ steht über dem knapp sechsseitigen Konzept, das der Grünen-Vorstand in Nürnberg verabschiedete. Diesen Titel könnten auch die Liberalen noch unterschreiben. Nicht aber den Inhalt. Ein Kernpunkt ist ein Zankapfel, an dem die Ampel schon seit Wochen knabbert – der sogenannte Industriestrompreis.
Bis es in Deutschland genügend günstigen Strom aus erneuerbaren Energien wie Wind und Sonne gibt, soll dieses von Wirtschaftsminister Robert Habeck „Brückenstrompreis“ genannte Werkzeug besonders energiehungrige Unternehmen entlasten, und zwar mit einem Deckel von sechs Cent pro Kilowattstunde bis 2030. Die SPD ist neuerdings mit einem ähnlichen Konzept an Bord, wenn auch nicht ihr Kanzler Olaf Scholz.
Doch die FDP stellt sich quer. Sie setzt stattdessen auf eine Entlastung aller Bürger und Unternehmen: „Stromsteuersenkung für alle statt Industriestrompreis für wenige“, heißt es in einer Vorlage für die Fraktionsklausur in Dresden, die die Abgeordneten wohl an diesem Freitag beschließen werden. Mit einer dauerhaften Senkung auf das EU-Mindestmaß, so die Rechnung der Freien Demokraten, würde der Netto-Strompreis um rund 2 Cent pro Kilowattstunde verringert. Denn der europäische Stromsteuer-Mindestsatz für Unternehmen beträgt 0,05 Cent pro Kilowattstunde. In Deutschland zahlen sie aber 2,05 Cent.
Finanzieren könnte man dies über Einsparungen im Bundeshaushalt oder durch den Verzicht auf weitere teure Subventionen für das Ansiedeln einzelner Industrieunternehmen via Klima- und Transformationsfonds, so die FDP. Was der zuständige Minister Habeck als Breitseite empfinden dürfte. Er sieht Steuermilliarden etwa für die Ansiedlung des taiwanischen Chiphersteller TSMC in Dresden als Beitrag zur Versorgung Deutschlands und Europas mit kritischer Technologie wie Computer-Chips.
Konfliktpotenzial birgt beim Thema Energie auch die Form ihrer Gewinnung. So diskutierte die FDP-Fraktion in Dresden über Atomkraft – wohl wissend, dafür von den Grünen keinen Applaus zu bekommen. Die Liberalen waren von Anfang an dagegen gewesen, die letzten drei deutschen Atomkraftwerke Mitte April abzuschalten. Sie forderten stattdessen, diese im Reservebetrieb zu belassen. Jetzt berieten die Abgeordneten darüber, den Rückbau der drei Meiler zu stoppen, wie Fraktionschef Christian Dürr der „SZ“ sagte.
Auch die Vehemenz, mit der sich die FDP gegen eine „Ausweitung des Sozialstaats“ wendet, dürfte die Ampel nicht in ruhigeres Fahrwasser bringen. M. HERZOG, U. STEINKOHL